Das NOHA-Dossier

Das tödliche Hotel im Osten

Alkohol, Nutten und ein gehobenes Ambiente: Die Prominenz stieg im Berliner Interhotel "Metropol" ab. Doch mindestens zwei Bosse westdeutscher Parteifirmen starben hier.

von Daniel Otto

Rüdiger Pöhlmann war außer sich. Im August 1978 – das Metropol war gerade 16 Monate eröffnet – schlich sich bereits der erste Schlendrian ein. Ein Parteisekretär habe sich persönlich am Besuch eines arabischen Scheichs bereichert, ja, ihm „fast 2000 DM zuviel“ abgenommen. Genaue Unterlagen darüber lägen vor, informierte Pöhlmann einen Parteigenossen und, damit schließt die Mitteilung, „seit diesem Zeitpunkt habe ich natürlich in den neu eingesetzten Parteisekretär kein Vertrauen mehr.“ Pöhlmann petzte – und dass, obwohl er vom Parteisekretär anderen Tages „50 DM ohne jegliche Unterschriftsleistung in die Hand gedrückt“ bekommen hatte. Die Stasi untersuchte den Fall, fand aber nichts Ungewöhnliches. Der Parteisekretär hielt weiterhin fröhlich die Hand auf.

Das Hotel Metropol war – von der Eröffnung im April 1977 an – ein Umschlagplatz, nicht nur für unlautere Parteisekretäre. Perfekt gelegen in der Friedrichstraße 150/153, direkt gegenüber des ein Jahr später errichteten internationalen Handelszentrums. 45 Millionen Valutamark legten die SED-Oberen für das im sozialistischen System nicht vorgesehene Luxushotel auf den Tisch. 352 Zimmer, 620 ständig genutzte Gaststättenplätze, eine Interflug-Filiale, ein Intershop, drei Saunas, ein Schwimmbad, ein Nachtclub. Manchmal war das Metropol Wochen im Voraus ausgebucht. Die einzige Währung: Devisen.

Treff westdeutscher Geschäftspartner

Heute steht hier das Maritim pro Arte: Das Interhotel Metropol.Heute steht hier das Maritim pro Arte: Das Interhotel Metropol.

Hier empfingen Stasi-Oberst Alexander Schalck-Golodkowski und seine Untergebenen die westdeutschen Geschäftspartner zu Verhandlungen aller Art. Dort, wo heute das Maritim pro Arte steht, wurden entweder erste Kontakte geknüpft oder Deals abgeschlossen. Mal ging es um im Westen verbotene Arzneimitteltests, mal um Scheingeschäfte, mit denen sich die KoKo selbst ins Bein schoss. Manchmal wurde auch einfach nur geredet.

Der Vorteil für die SED: Das Metropol war ein sozialistisches Abhörparadies. Selbst die Kellner sollen beim MfS angestellt gewesen sein. Reden wollen die, die aufzufinden waren, darüber nicht: „Wen interessiert das denn heute noch?“ ist eine Antwort. „Fragen Sie doch beim Schalck-Golodkowski nach“, eine andere. Die Vorurteile sind groß: „Es wird soviel Scheiße geschrieben.“ Als dann doch jemand spricht, will derjenige seinen Namen nicht in der Zeitung lesen: „Dinge, die nicht zu verantworten gewesen wären, haben wir sowieso nicht gesehen.“

"Nicht friedlich eingeschlafen"

Dinge zum Beispiel, wie den Tod des damaligen Geschäftsführers der Essener Intema, Fritz John Bruhn, im August 1982. Bruhn starb mitten in der Nacht in seinem Hotelzimmer – offiziell an Herzversagen. Am Tag zuvor hatte er sich mit SED-Funktionären zum Informationsaustausch getroffen. Gut möglich, dass die Stasi an diesem Tag herausfand, dass Bruhn für den BRD-Verfassungsschutz arbeitete und kurzen Prozess machte. Der ehemalige Geschäftsführer der Bochumer Firma NOHA und Inhaber einer Hotel-Metropol-VIP-Card, Heinz Altenhoff, vermutet ähnliches: „Der ist nicht friedlich eingeschlafen.“

Altenhoff bringt in diesem Zusammenhang auch einen seiner ehemaligen Kollegen ins Gespräch: Karl-Heinz Nötzel, Vorgänger von Bruhn bei der Intema, starb ebenfalls in einem Interhotel. Altenhoff sagt: „Den haben sie umgebracht.“ Auch Nötzel stand als Intema-Chef in ständigem Kontakt zur SED. Auch er arbeitete nebenbei für die Bundesrepublik. Auch bei ihm hieß die Todesursache Herzversagen. Merkwürdige Zufälle oder tatsächlich kalkuliertes Morden?

Ein späterer Intema-Geschäftsführer glaubt nicht an die Mordtheorie: „Viel zu aufwändig, das hätten sie im Westen viel einfacher machen können.“ Außerdem sei Nötzel starker Trinker gewesen und „an seiner eigenen Kotze erstickt.“ Bruhn habe den „Exitus im Koitus“ erlebt – sei also beim Sex mit einer Prostituierten gestorben. Auch ein ehemaliger Auszubildender sieht das so: „Ich glaube nicht, dass jemand beiseite geschafft worden ist – oder werden westliche Geschäftsleute vermisst…?“

Westkaffee, Brandy, Prostitutierte

Informeller Sex: Auch Nutten spionierten für die Stasi.Informeller Sex: Auch Nutten spionierten für die Stasi.

Zumindest gingen sie im Metropol gerne ein und aus. Kein Wunder, hier gab es für den Osten ungewöhnlichen Komfort: Im hoteleigenen Intershop gab es westdeutsche Zeitungen, auch wenn die beiden Ausgaben des Tagesspiegels, der FAZ und der New York Times regelmäßig ausverkauft waren. Auch Westkaffee und Brandy wurden zu Duty-Free-Preisen angeboten. Und – was nicht nur Fritz John Bruhn besonders gefallen hat und zum Verhängnis wurde – entgegen aller Maßnahmen zur Überwindung der Klassengesellschaft in der DDR war in den Interhotels auch Prostitution gang und gäbe.

Bei lateinamerikanischer Live-Musik und Club-Cola ließen es sich die Männer im hoteleigenen Etablissement „La Habanna“ gut gehen. Immer umgarnt von den leichten Mädchen, die vom Barchef darauf angesetzt waren, den Männern das Geld aus der Tasche zu ziehen. Die Masche: Das Vertrauen der Geschäftsleute gewinnen, um dann an der Bar die teuersten Getränke zu bestellen. Danach ging es hoch auf das Zimmer. Die Aufbettung kostete 60 DM, die Preise waren bekannt. Was kaum jemand wusste: Die Prostituierten waren auch Spione der Staatssicherheit.

Denn an der Hotel-Rezeption lag eine Liste aus. Frauen die nicht mit der Stasi kooperierten, kamen gar nicht erst ins Hotel. Viele Zimmer waren mit Spionagetechnik ausgestattet. Wanzen und Videokameras. Es gab ganze Etagen, die für den informellen Sex reserviert waren. Vielleicht liegt sogar noch irgendwo ein Video von Fritz John Bruhn. Doch so wirklich lohnte sich die Sex-Spionage für die SED nicht.

Louis Armstrong und "Der Schakal"

Das Problem: Die wenigsten Freier redeten sich gegenüber den „Inoffiziellen Mitarbeiterinnen im Einsatz“ (IME) um Kopf und Kragen. Sie wollten das, was man auch im Westen von Huren erwarten konnte: schnellen Sex. Gewerblicher Geschlechtsverkehr war in solchen Kreisen nichts Ungewöhnliches. Deshalb hatte die Stasi mit ihren Aufzeichnungen auch kein Druckmittel, um von den Geschäftsleuten relevante Informationen zu bekommen. Aber immerhin: Das Geschäft mit der Prostitution brummte.

Natürlich residierten auch internationale Top-Gäste im Metropol und ließen die Kassen klingeln. Es war nicht umsonst das erste Fünf-Sterne-Hotel im Berliner Osten. Neben internationalen Showgrößen wie Louis Armstrong, soll auch Top-Terrorist Carlos „Der Schakal“ im Metropol abgestiegen sein – trotz internationaler Fahndung. Die DDR versteckte ihn von 1979 bis 1980 unter der Bedingung, in Gesamt-Deutschland keine Anschläge auszuüben. Doch der ausgefallene Lebensstil des Top-Terroristen war der DDR irgendwann zu viel. Er wurde gebeten, das Land zu verlassen.

Im Metropol wäre das nie passiert, dort war der Gast immer König. Egal, ob er aus Westdeutschland, den USA oder Venezuela kam. „Ein Gast war ein Gast. Da gab es keine Unterschiede“, sagt eine ehemalige Mitarbeiterin. Auch der sonstige Ablauf im Hotel sei völlig normal gewesen, die Stimmung gar hervorragend. Wer gut gearbeitet habe, sei auch gut behandelt worden. Ab und an seien sogar so genannte „Kollektivfeiern“ für alle Abteilungen veranstaltet worden: „Da gab es alles nur vom Feinsten,“ schließlich habe „der Honecker ja nicht gefragt, was wir da gegessen und getrunken haben.“

Was genau hinter den Kulissen des Metropols geschah, ob es kriminelle Aktivitäten oder sogar Morde gab, will niemand erzählen oder weiß es schlichtweg nicht: „Wir kleinen Leute haben davon wirklich nichts mitbekommen.“

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