Das NOHA-Dossier

Wie die SED das eigene Volk betrog

Mehr als 50 Firmen beschafften hartes Geld aus dem Ausland und betrogen dabei das eigene Volk. Die Bochumer Firma NOHA machte 1989 mehr als zehn Millionen D-Mark Gewinn.

von Daniel Drepper

Das Konzept war einfach: Wer mit der DDR Geschäfte machen wollte, musste das über die NOHA tun oder über ähnliche Parteifirmen unter Stasikontrolle. Diese Vertreterfirmen organisierten die Rundreisen der DDR-Handelsvertreter, planten Termine, buchten Hotels. Für diese Leistungen, die Westfirmen auch selbst hätten erledigen können, kassierten Firmen wie die NOHA Provisionen – zwischen einem halben und fünf Prozent für jeden Auftrag. Bei den DDR-Geschäften der Waffenschmiede Heckler & Koch gingen sogar zehn Prozent jeder Lieferung an die NOHA.

Der Gewinn der NOHA floss über Tarnfirmen in Holland, Vaduz oder Curacao an die SED, in den sogenannten „disponiblen Parteifonds“. Es gab viele solcher Parteifirmen, die allesamt von der Kommerziellen Koordinierung (KoKo) um Alexander Schalck-Golodkowski kontrolliert wurden. Mit der schwarzen Kasse unterstützte die SED zum Beispiel die DKP in Westdeutschland. In einem Schreiben des Zentralkomitees der SED wurde als Aufgabe der Parteifirmen unter Stasikontrolle zudem festgelegt, dass Spenden für „Pressefeste, Parteitage usw.“ abzuführen sind. Weiter sollten die Geschäftsführer einen Teil ihrer „Tantiemen“ an die Partei zurückspenden. Trotz dieser Zahlungen an die westlichen Brüder häufte Schalck-Golodkowski mit seiner KoKo unvorstellbaren Reichtum an. Nach der Wende fand man im Keller der KoKo 21000 Kilo Gold. Heute wäre dieses Gold etwa 900 Millionen Euro wert.

Ein korrupter Zöllner

Diese Milliardensummen stahl die SED dem eigenen Volk. Sie setzte sich einfach auf jedes Geschäft, wie ein korrupter Zöllner kassierte sie bei jedem Grenzübertritt. Jede Lieferung von Ost nach West mussten die Ostfirmen billiger anbieten, um den Wettbewerbsnachteil der aufgeschlagenen Provision wettzumachen. Im Gegenzug lief es nicht anders: Westfirmen erhöhten einfach ihre Preise für DDR-Bürger, um die üppige Provision von Vertreterfirmen wie der NOHA wieder reinzuholen.

Das erwähnte Schreiben des Zentralkomitees der SED beschreibt deutlich, dass Firmen wie die NOHA nur Marionetten der SED waren. Die Geschäftstätigkeit der Firmen war „ausschließlich mit dem Ziel durchzuführen, Gewinne für den Fonds der Partei zu erwirtschaften“. Als Prokuristen wählte die SED „politisch starke als auch fachlich qualifizierte Kader“. Wobei die Partei darüber nachdachte, Berufsrevolutionäre „der Bruderpartei wieder zur Verfügung zu stellen“, um sie nicht in Bedrängnis zu bringen, wenn fingierte Arbeitsverhältnisse auffliegen.

Beschwingtes Partyfoto aus den NOHA-AktenBeschwingtes Partyfoto aus den NOHA-Akten

Die Geschäftsführer „sind dem Leiter des Bereiches Kommerzielle Koordinierung zu unterstellen, handeln entsprechend der ihnen erteilten Weisungen und sind ihm gegenüber rechenschaftspflichtig.“ Die Abrechnung aller KoKo-Firmen überwachte Alexander Schalck-Golodkowski, der seine Zahlen direkt gegenüber dem Generalsekretär des Zentralkomitees der SED verantworten musste, dem obersten Genossen Erich Honecker.

Das Hauptquartier der NOHA war eine Villa am Bochumer Stadtpark. Schon Ende der 70er Jahre hatte hier jeder Mitarbeiter ein Diktiergerät auf dem Schreibtisch liegen, jeder Raum eine Alarmanlage. Auf dem Dach waren Sirene und Warnleuchte installiert. Mehr als 50 Leute arbeiteten für die NOHA. Etwa 40 in Bochum, der Rest in der Handvoll übrigen Filialen, unter anderem in Berlin, Dortmund und Essen.

"Geschäftsführer sind dem Leiter des Bereiches Kommerzielle Koordinierung zu unterstellen, handeln dementsprechend der ihnen erteilten Weisungen und sind ihm gegenüber rechenschaftspflichtig."
Die NOHA-Villa in Bochum. Foto: Martin MeuthenDie NOHA-Villa in Bochum. Foto: Martin Meuthen

Wo das Geld hinfloss, haben offenbar nicht alle Mitarbeiter gewusst. „Wir haben das nicht hinterfragt“, sagte uns eine Buchhalterin im Nachhinein. „Wir haben Produkte aus der DDR in die BRD importiert und umgekehrt. Das war für uns nicht besonders.“ Neben und auch auf der Arbeit hatten die Angestellten auf jeden Fall ordentlich Spaß, das Geld saß locker. „Es war sehr familiär. Man wusste viel von den Anderen und hat sich privat getroffen. Es wurde auch immer zum Trinken aninimiert. Alle haben wirklich immer nur gesoffen.“

In den Stasi-Akten findet sich ein Gutschein für NOHA-Geschäftsführer Heinz Altenhoff, mit Schreibmaschine getippt: „Herr Heinz Altenhoff, geb am 25. April 1932, wohnhaft am Alten General 17 in 4630 Bochum 5, z. Zt. Im 11. Jahr seiner Geschäftsführertätigkeit in der jetzt sogenannten Firma noha Handelsgesellschaft mbH erhält zur Stärkung seiner Willenskraft und der ungestillten Freude ein Stück Knoblauchbutter auf Abruf.“

In die DDR wurde der Eindruck vermittelt, die NOHA habe mehr als genug zu tun. Der Stasi-IM „Fritsche“, der in Wahrheit Horst T. heißt, berichtete von einer eifrigen, arbeitsreichen Atmosphäre im Bochumer Hauptquartier. 1983 schrieb er, die NOHA habe Probleme, die ganzen Dienstreisen der DDR-Vertreter zu organisieren „da nicht genügend Fahrzeuge bzw. Kundendienstingenierue zur Verfügung stehen.“

Wer mit der DDR Geschäfte machen wollte, musste Provisionen zahlen. Vertreterfirmen konnte niemand umgehen. So beschrieb es zum Beispiel Karl-Kuno Kriebel, der die Mülheimer Siebtechnik GmbH vertrat. Am 5. April 1991 schrieb er an das Duisburger Landgericht. Die NOHA hatte die Siebtechnik aus Mülheim wegen ausstehender Provisionen verklagt. Die Mülheimer weigerten sich jedoch, nach dem Mauerfall weiter an die NOHA zu zahlen. Anwalt Kriebel schrieb, die Provisionen seien nie rechtsgültig abgesprochen worden. Ganz im Gegenteil nannte Kriebel die Provisionzahlungen „völlig ungerechtfertigt und erzwungen“.

Die Siebtechnik Mülheim arbeitete schon vor der Gründung der NOHA mit DDR-Unternehmen zusammen. Laut Anwalt Kriebel habe die NOHA Ende der 70er Jahre zunächst vergeblich versucht, die Vermittlung der Geschäfte zu übernehmen. Warum sollte die Siebtechnik auch Provisionen zahlen für Geschäfte, die sie bisher kostenlos bekam? „Die Weigerung der Beklagten hatte dann zur Folge, daß Verträge nicht mehr von den zuständigen Stellen genehmigt wurden bzw. überhaupt nicht mehr zustande kamen.“ Die Siebtechnik gab sich letztlich geschlagen und zahlte die NOHA-Provisionen, „um nicht ihr gesamtes DDR-Geschäft zu verlieren.“

"Die Weigerung der Beklagten hatte zur Folge, daß Verträge nicht mehr genehmigt wurden."
Mülheim an der Ruhr: Die Siebtechnik GmbH zahlte der Parteifirma NOHA Provisionen.Mülheim an der Ruhr: Die Siebtechnik GmbH zahlte der Parteifirma NOHA Provisionen.

Die NOHA vermittelte Stahlguss, Getriebe, Schmiedestücke, gewalzte Ringe und Tapeten – aber auch Musikinstrumente, Munition und Gewehre. Offenbar war sie nicht nur Generalvertreter für die DDR, sondern handelte auch mit der UdSSR, Bulgarien und Ungarn, Rumänien und einigen afrikanischen Ländern. Überall kassierte die SED mit, bei den Geschäften ihrer eigenen Bürger. Dies geht aus Stasi-Berichten hervor, die uns vorliegen. Und die NOHA betrog auch noch den Westen. Von ihren Provisionen überwies sie einen großen Teil über Scheingeschäfte an andere Firmen wie die Simpex GmbH in der DDR. Damit senkte sie den zu versteuernden Gewinn in der BRD. Das Geld ging so direkt in die Kassen der SED – am Bonner Fiskus vorbei. Halbjährlich flossen die Sonder-Provisionen auf das Simpex-Konto mit der Nummer 980313100011 bei der Deutschen Außenhandelsbank, die in der DDR für Geschäfte mit dem Ausland verantwortlich war.

Gegründet wird die NOHA schon 1961 von Fritz Nolte und seiner Frau Christel, damals noch als Nolte KG. 1977 benennt sich die Firma um in Nolte & Co GmbH. Ab jetzt übernimmt die Stasi vollkommen das Ruder. Das Stammkapital beträgt 250000 Euro. Noch im selben Jahr übernimmt Heinz Altenhoff die Geschäftsführung. Altenhoff muss sich regelmäßig bei den Stasi-Chefs in Berlin melden und besucht einwöchige Lehrgänge bei Dresden. 1981 wird die Nolte zur NOHA, sie besteht bis 1991.

IM Fritsche bearbeitet die NOHA

Einblick in die Geschäfte der NOHA geben die Stasi-Berichte des inoffiziellen Mitarbeiters “Fritsche”. Der Ost-Geheimdienst warb Horst T. am 10. Februar 1977 an und beauftragte ihn, die NOHA zu bespitzeln. Uns liegen mehr als 300 Seiten seiner Stasi-Akte vor.

IM Fritsche arbeitet ursprünglich als Technologe für den Volkseigenen Betrieb Stahlgießerei Elstertal Silbitz. Schon ab 1975 darf er in den Westen reisen. Unter der Nummer x/800/75 legt die Stasi Anfang 1977 seine Akte an. Für das Außenhandelsunternehmen Technocomerz GmbH soll er von Düsseldorf aus Stahlguss verkaufen. Und die NOHA bespitzeln. Wer arbeitet dort? Welche Verbindungen gibt es zu anderen Konzernen und in die Politik? „Charakterlich schätzen wir den Genossen T. als zuverlässig ein“, schreibt Stasi-Betriebsdirektor Weber zu Beginn.

Das Verhältnis zwischen der Stasi und T. kühlt jedoch ab. Die Kreisdienststelle Eisenberg schreibt sieben Jahre später von politisch-ideologischen Unklarheiten. „Der IM ist nicht immer offen und ehrlich.“ T. habe vor allem wegen der vielen Reisen für die Stasi gearbeitet, sei kein Überzeugungstäter. Außerdem habe er seine Frau eingeweiht, was in der Zentrale nicht gern gesehen wird.

Am 21. April 1986 ist es vorbei mit IM Fritsche und der Stasi. Die Aussagekraft von T.s Berichten habe nachgelassen, „obwohl Fritsche gezielt instruiert und geschult wurde. Es konnte mittels Berichtsvergleich nachgewiesen werden, daß er Informationen dem MfS gegenüber verschweigt.“ Sein sittlich-moralische Verhalten biete Angriffspunkte, die vom Gegner gezielt genutzt werden könnten. Deshalb beendet die Dienststelle in Eisenberg nicht nur die Zusammenarbeit, sondern schlägt sogar vor, ihn ab 1986 selbst operativ zu bearbeiten, also zu bespitzeln. So schnell wird man vom Freund zum Feind.

"Es konnte mittels Berichtsvergleich nachgewiesen werden, daß er Informationen dem MfS gegenüber verschweigt."

Mit Honecker per Du

T. geht ab 1977 als Vertreter der Technocomerz mit den NOHA-Chefs auf viele gemeinsame Reisen. Bereits zu Beginn notiert er, dass der damalige Chef Fritz Nolte beste Kontakte habe, ja sogar mit Honecker per Du sei. „Die Nolte KG finanziert angeblich auch die DKP-Zeitung in der BRD.“

Die Vertreter des DDR-Außenhandels besuchen den Westen regelmäßig; meist dauern die Reisen mehrere Tage. Die NOHA plant die Treffen und reserviert die Hotels. Die Verbindungen zwischen Ost und West laufen bestens. Die NOHA ist laut T. auf allen Handelsmessen in der Bundesrepublik und der DDR mit eigenen Messeständen vertreten.

In den 80er Jahren ist die Bochumer Firma NOHA eine der fünf größten Devisenbeschaffungsfirmen der Stasi. 1985 vermittelt sie einen Umsatz von knapp 300 Millionen D-Mark. Wie viel bleibt über? Uns liegt eine detaillierte Bilanz aus dem Jahr 1989 vor. Im Wendejahr nimmt die NOHA 21.086.150,90 ein. Die Kosten, etwa 10,5 Millionen, bestehen zu fast 85 Prozent aus Provisionen und Personalkosten. Knapp die Hälfte der Einnahmen bleibt als Gewinn. Eine sehr respektable Quote.

Das viele Geld der NOHA – und damit der schwarzen Kassen der SED – kommt auch aus dem Ruhrgebiet, zum Beispiel von Stahlgigant Krupp. Krupp bestellt jahrelang Stahlguss aus der DDR. Die Handelsvertreter aus der DDR, die Vermittler von der NOHA und die Einkäufer von Krupp treffen sich mehrmals im Jahr. 1978 zum Beispiel liefert die DDR Stahlguss für die Krupp-Werke in Hamburg-Harburg und Duisburg-Rheinhausen. Das Hamburger Werk zahlt 2,20 Mark pro Kilo, Rheinhausen nur 2,05 Mark. So sehr sich die DDR-Vertreter bei einem Treffen Ende Februar auch bemühen, der Hamburger Krupp-Abgesandte will nicht einsehen, dass er mehr zahlen muss. Die Parteien vereinbaren ein Treffen ihrer Vorgesetzten. Auf der Leipziger Handelsmesse sollen sich die Krupp-Konzern-Leitung und der stellvertretenden Generaldirektor des DDR-Außenhandels wenige Wochen später einigen.

Ordentlich Umsatz bringt auch die Guss + Stahl Bochum GmbH. Die kauft ab 1975 Stahlguss aus der DDR, obwohl sie am Anfang skeptisch ist, wie der Stasi-IM „Göldner“ in einem Bericht vom 4. November 1976 schreibt. Guss + Stahl verhält sich dem Stasi-IM gegenüber herablassend. „Ein häufig benutzter Ausdruck war: Könnt ihr das denn überhaupt?“ Später arrangiert sich Guss + Stahl offenbar sehr gut mit der DDR. Die Aufträge gehen in die Hunderttausende. Ende 1983 schließt die Firma zum Beispiel einen Vertrag über 301.250 Deutsche Mark. Immer wieder bittet die Guss + Stahl um mehr Stahlguss aus der DDR – doch die hat in ihrer Gießerei in Silbitz nicht genug Kapazität. „Die Mitarbeiter der Firma G u. S sind sehr aufgeschlossen und verhandeln in einer sehr offenen Art“, schreibt unser Stasi-Informant T. nach einer Dienstreise im November 1980.

Essen gegen Wattenscheid

Stasi-IM T. notiert immer wieder, dass bei den Treffen mit westdeutschen Geschäftsleuten und den NOHA-Mitarbeitern so gut wie nie über Politik gesprochen werde. Meist gehe es nur ums Geschäft, häufig auch um Fußball. Einmal erwähnt T. ein Derby zwischen Essen und Wattenscheid. Hin und wieder spendiert die NOHA der Vertreterrunde Essen und Getränke – oder auch mehr.

Nach der Wende, versuchen die NOHA-Chefs um Geschäftsführer Heinz Altenhoff ihr Geld zu retten. Dazu gründen sie die IVK Industrie-Vertriebs-Kontor in Hattingen und lenken unter dubiosen Umständen Geld in die neue Firma. Die Geschichte haben wir an anderer Stelle ausführlich beschrieben.

Die Liste einiger NOHA-Kunden aus den vorliegenden Stasi-Akten

Adidas, Cannon Deutschland, Hanomag, Klöckner-Ferromatic Desma-Werke aus Achim, die Waffenhersteller Dynamit Nobel aus Troisdorf und Heckler & Koch aus Schramberg, Feldmühle AG aus Wesseling, Elektroblech-Gesellschaft aus Bochum, die Thyssen Gießerei AG aus Oberkassel, Zettelmeyer aus Konz, die Seitz-Werke aus Bad Kreuznach, Otto Wolff aus Köln, Sachtleben-Chemie aus Duisburg, Dietz & Sohn, Adolf V. Braucke, Hüls aus Troisdorf, Gontermann & Peipers, Inteco, Thyssen Rheinstahl, VDW, Gustav Wolf, Eley, Teroson, der Getriebehersteller Hueber Baacke GmbH und die Maschinenfabrik Karl Heesemann, Battenfeld aus Meinerzhagen, Gottlieb Binder aus Holzgerlingen, F.W. Bündgens aus Alsdorf, Greif-Werk aus Hagen, Jordan GmbH & Co KG aus Iserlohn, Siebtechnik GmbH aus Mülheim, Julius Boos jr GmbH & Co KG aus Wuppertal, EBG Gesellschaft für Elektromagnetische Werkstoffe GmbH aus Bochum, die Frisch GmbH aus Ratingen, Hugo Offermann aus Wuppertal und die Wagner Schwelm GmbH & Co

Die Liste einiger der mehr als 50 Parteifirmen im Westen