Der falsche Kapitalist

Eine Deutsche Wendekarriere

Erst knallharter Kommunist, dann Karrierist in der Geldwirtschaft: Der zweifache Aufstieg des Wilhelm Ahrens und wie er heute von all dem nichts mehr wissen will.

von David Schraven

Es gibt erstaunliche Karrieren. Etwa die von Professor Doktor Wilhelm Ahrens. Der 64-Jährige leitet heute die HST Hanse StiftungsTreuhand GmbH in Hamburg. Ein Institut von scheinbar altem Geld und alten Werten. Daneben ist Ahrens Vorstandsvorsitzender der Charlotte Uhse – Stiftung. Diese fördert das Ballett.

Professor Ahrens trägt damit große Verantwortung. Für die Treuhand und für das Gedenken an Charlotte Uhse. Denn diese Frau musste nach dem Krieg ein hartes Schicksal ertragen. Sie wurde zur Zwangsarbeit in stalinistischen Gulags verurteilt, weil sie es gewagt hatte, gegen die DDR-Regierung aufzubegehren. Dass jetzt ausgerechnet Wilhelm Ahrens ihre Stiftung leitet, ist – wir werden es feststellen – ziemlich absurd.

Tatsächlich glänzt die Karriere von Professor Dr. Wilhelm Ahrens wie ein Abziehbildchen aus dem Bilderbuch. Geboren in der Nachkriegszeit in Oldenburg, wurde er 1997 Finanzchef des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft in Essen. Einem Verband, der mehr als 1,5 Milliarden Euro verwaltet. 2005 stieg er auf zum Prokurist der Privatbankiers von Merck Finck & Co, wurde Direktor der Merck Finck Treuhand AG, die sich der Pflege großer Familienvermögen verschrieben hat. Ruhm und Ehre der Geldwirtschaft.

Führender Manager im Stasi-Reich

Allerdings stand Professor Dr. Wilhelm Ahrens früher auf der anderen Seite. Nach unseren Recherchen war der Mann, der heute den ehrbaren Kaufmann gibt, ein führender Manager im Schattenreich des Stasi-Obristen Alexander Schalck-Golodkowski.

Ahrens war Prokurist der Firma NOHA aus Bochum. Sie war Teil des von der Stasi kontrollierten geheimen Bereiches Kommerzielle Koordinierung (KoKo) im Ministerium der DDR für Außenhandel. Eine Parteifirma unter dem Stasi-Dach. Ahrens Aufgabe im Operationsgebiet West: Valuta machen, damit am Ende der Klassenkampf zu Gunsten der Kommunisten ausgeht.

Nach seinem Eintritt in die Firma im August 1982 übernahm Ahrens die Abteilung „Beschaffung und Vertrieb diverser Produktgruppen.“ Bereits 1984 wurde ihm Prokura erteilt. Ein Jahr später stieg er auf zum Hauptabteilungsleiter, Personalchef und Vertrauten von NOHA-Chef Heinz Altenhoff. Eine Karriere auf Basis geschäftlicher Erfolge, soweit die offizielle Biografie, wie sie in seinem Firmenzeugnis nachzulesen ist.

Inoffiziell machte Ahrens vor allem Karriere, weil er von den Spitzengenossen der Stasi-Wirtschaft protegiert wurde. Im Oktober 1984 wird er als Wirtschaftskader zur Schulung ins „Objekt Karl Liebknecht“ gebeten. Er bekommt Unterricht zur „aktuellen Krisensituation der kapitalistischen Welt“ und zu „Fragen der kommunistischen Weltbewegung“. Im Oktober 1985 wurde Ahrens erneut gebeten, dabei zu sein. Es ging um den „ideologischen Kampf der Gegenwart“, „das Friedensprogramm der Sowjetunion“ und „die Werte des Sozialismus.“

Der westdeutsche Manager Ahrens scheint sich in den Augen der kommunistischen Führung bewährt zu haben. Aus einem internen Vermerk der Leitungsgruppe Firmen in der KoKo wird im April 1987 unter Punkt „Kader“ notiert: „Es wurde festgelegt, dass Wilhelm Ahrens mehr wie bisher in die Gesamtleitung des Unternehmens einzubeziehen ist. Ahrens ist so vorzubereiten, dass er an der Prognoseberatung für das Jahr 1988 und an der Rechenschaftslegung per 31. Dezember 1989 voll verantwortlich teilnehmen kann.“ Und weiter: „Das Gehalt von Ahrens ist ab 1. Juli 1987 anzuheben.“

„Es wurde festgelegt, dass Wilhelm Ahrens mehr wie bisher in die Gesamtleitung des Unternehmens einzubeziehen ist. Das Gehalt von Ahrens ist ab 1. Juli 1987 anzuheben.“

Kontakt zu Heckler & Koch

Als „Genosse Dr. Ahrens“ wurde er im Februar 1988 zu einem Wochenendlehrgang in die ostdeutsche Kaderschmiede „Grünheide“ eingeladen. Auf dem Lehrplan standen Fächer wie: „Gesellschaftsstratgie der SED“, „Sozialismus und Ökologie“, sowie „Tendenzen im staatsmonopolistischen Kapitalismus.“ Die Karriere von Genosse Dr. Ahrens fußte zu einem satten Teil auf Kommunismusschulungen im Interesse der Stasi.

Seine besonderen Fähigkeiten wusste Ahrens einzusetzen. Er stellte für die NOHA den Kontakt zur Waffenschmiede Heckler & Koch her und fädelte einen Deal zwischen einem DDR-Kombinat und Heckler & Koch zum Kauf von „Feinstbohrmaschinen“ über umgerechnet mindestens 60 Millionen D-Mark ein. Die Provision für Ahrens Stasi-Firma NOHA lag bei mindestens 1,24 Millionen D-Mark.

Für die Stasi lohnte sich der Ahrens-Einsatz doppelt. Kurz nachdem NOHA-Manager Ahrens den Kontakt herstellte, erfüllten sich für die Stasi nach jahrelangem Warten endlich geheime Spionage-Bestellungen von Heckler & Koch-Produkten.

Doch dem endgültigen Durchbruch Ahrens im Stasi-Geschäft kam die Volksrevolution in der DDR in die Quere. Nach dem 9. November 1989 war das Modell der NOHA auf einmal nichts mehr wert: Von Westfirmen Provisionen erpressen, wenn diese Handel mit der DDR betreiben wollten – das funktionierte nicht mehr. Die Umsätze der NOHA brachen ein. Ahrens drohte die Arbeitslosigkeit.

In dieser Zeit, kurz vor der Währungsunion, versuchte Ahrens noch, irgendwie weiterzumachen. Gemeinsam mit seinen Kumpanen, dem NOHA-Chef Heinz Altenhoff und seinem Mitprokuristen Heinz Graupe, gründete er eine eine Tochtergesellschaft der NOHA: Die IVK Industrie-Vertriebskontor in Hattingen. Mit einem Kapital von über 850.000 Mark sollte das Unternehmen Ostprodukte im Westen verkaufen. Doch die Nummer ging schief. Die IVK wurde abgewickelt, die NOHA ging pleite. Heinz Altenhoff wurde später wegen Steuerhinterziehung verurteilt.

Heute in Hamburger Ambiente

Ahrens Karriere bei der NOHA war schon vorher beendet. Am 30. Juni 1990 schied Ahrens „auf eigenen Wunsch“ aus der NOHA aus. Das war der Tag, an dem auch die Ostmark des sozialistischen Unrechtsstaates DDR abgeschafft wurde.

Ahrens Spur verliert sich für die nächsten paar Jahre. Bis der Ex-Kader aus dem Reich von Schalck-Golodkowski schließlich in Essen seinen Durchbruch beim Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft als kapitalistischer Wohltäter schaffte.

Heute in seinem Ambiente als gesetzter Kaufmanns in feinster Hamburger Gegend kann sich Professor Ahrens nur noch sehr bedingt an seine Vergangenheit bei der NOHA erinnern. Kommunistische Lehrgänge in Ostdeutschland? Höchstens einmal sei er da gewesen – aber früh wieder abgereist, weil sein Vater gestorben sei. An Geschäfte mit Heckler & Koch könne er sich gar nicht erinnern – obwohl der Deal mit dem Waffenhändler eines der größten Geschäfte in seiner achtjährigen NOHA-Karriere war.

Die Männer von der NOHA: Wilhelm Ahrens, Heinz Graupe und Heinz Altenhoff (von links).Die Männer von der NOHA: Wilhelm Ahrens, Heinz Graupe und Heinz Altenhoff (von links).

Weiter sagt Ahrens, als Prokurist der NOHA habe er nur die Aufgabe gehabt, Verträge im Namen der Firma zu unterschreiben. Was in der Firma sonst lief, habe er nicht gewusst. Und obwohl ausdrücklich der Kaderbefehl ergangen ist, Ahrens in die Geschäftsführung der NOHA einzuführen, habe er sich als Prokurist in der Rangordnung der Firma stets unter dem Buchhalter gesehen. Auch sei er trotz Bezeichnung „Genosse“ nie Mitglied der DKP gewesen, selbst wenn sein alter NOHA-Chef Heinz Altenhoff das anders sieht.

Und überhaupt, schreibt Ahrens: Die NOHA sei wichtig gewesen, um den Ost-West-Handel voranzutreiben. „Bei meiner Tätigkeit kam es mir darauf an, einen Beitrag für den Zuwachs und für das gute Gelingen des Handels zu leisten.“

Praktisch alle größeren Unternehmen der Bundesrepublik seien im Geschäft mit dem Osten vertreten worden, auch die des Ruhrgebiets, „ganz klar“ Krupp, Thyssen, Ruhrchemie und die Hüls AG – „eben alle“. Ahens schreibt: „Das war das System, und es war ja erfolgreich.“ In der anderen Richtung seien Produkte aus der DDR in der Bundesrepublik verkauft worden.

„Bei meiner Tätigkeit kam es mir darauf an, einen Beitrag für den Zuwachs und für das gute Gelingen des Handels zu leisten.“

"Kein politischer Einfluss"

„Die Arbeit in der Firma NOHA geschah ausschließlich nach kaufmännischen Prinzipien, es gab keinen politischen Einfluss.“ Nach Ansicht von Ahrens sei der Handel zwischen der Bundesrepublik und der DDR für beide Seiten nützlich gewesen. „Er hat zur Wertschöpfung beigetragen und Arbeitsplätze geschaffen.“ Schließlich habe diese Normalität dazu beigetragen, „dass die DDR so friedlich untergegangen ist und ein Neuanfang begonnen werden konnte.“

Diese Art der Rechtfertigung der eigenen Arbeit für einen Unrechtsstaat hat in Deutschland offenbar Tradition

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