Die SED in Essen

30 Millionen und zwei Tote

Als die DDR längst Geschichte war, stahl die Essener Firma Intema dem vereinigten Deutschland noch einmal 30 Millionen. Ex-Geschäftsführer Detlef Heinz-Willi von der Stück soll Schuld gewesen sein.

von Daniel Drepper

150 Beschäftigte, ein Umsatz von 450 Millionen D-Mark: Die Essener Metallhandelsfirma Intema war eine der wichtigsten Auslandsfirmen der SED. Vier von fünf Geschäften der Intema führten in den Osten. Wie viel Geld die Essener wirklich an die DDR überwiesen, kann heute niemand genau sagen. Klar ist nur: Es waren Dutzende Millionen.

Detlef von der Stück war seit 1983 Geschäftsführer der Intema, nach Essen er kam von der westdeutschen Parteifirma Melcher, die ebenfalls von der Stasi kontrolliert wurde. Seine beiden Vorgänger starben unter dubiosen Umständen. Von der Stück aber hielt sich, machte sogar nach der Wende noch mit krummen Geschäften Millionengewinne.

Besitzer von der DDR kontrolliert

Curacao, Sitz der Firma Rethel N.V.Curacao, Sitz der Firma Rethel N.V.

Albert Weischert gründete die Intema 1969, den Grundüngsnotar machte pikanterweise der spätere Finanzminister der SPD in NRW, Diether Poser. 1976 übernahm Karl-Heinz Noetzel die Intema. Ende der 70er Jahre stieg dann die holländische Firma Rethel N.V. ein, die ihren Sitz in Curacao hatte. Die Rethel N.V. wiederum gehörte der DDR. 1983 lösten fünf Firmen aus den Niederlanden, Lichtenstein und Curacao die Rethel ab. Die neuen Besitzer wurden ebenfalls von der DDR kontrolliert. Dennoch saßen im Verwaltungsrat der Firma auch ranghohe holländische Politiker, was nach der Wende im Nachbarland für Aufregung sorgte. Auch wenn Detlef von der Stück im Handelsblatt 1990 behauptete, dass sich die DDR nie eingemischt hätte: Die Gewinne der Intema flossen doch in den Osten.

Dass die Intema eine Tarnfirma der SED war, das hätten in der Branche alle gewusst, sagte von der Stück der Illustrierten Quick. Selbst dem Bundeswirtschaftsministerium sei klar gewesen, dass „die Holländer nur Strohmänner“ waren. Von der Stück war des Öfteren im Wirtschaftsministerium zu Gast. „Da gab es Spielregeln. Das waren Dinge, nach denen man einfach nicht fragte“, zitiert Quick von der Stück.

„Da gab es Spielregeln. Das waren Dinge, nach denen man einfach nicht fragte.“

Von der Stück sagte dem Handelsblatt, seit 1987 sei kein Pfennig mehr in die Kassen der SED geflossen. Dagegen steht die Aussage von Alexander Schalck-Golodkowski, dem Erfinder und obersten Vater der Stasi-Westfirmen. Allein 1988 soll die Intema laut Schalck-Golodkowski mehr als zehn Millionen Mark Gewinn gemacht haben. Das berichtete 1990 der Bonner General-Anzeiger und berief sich auf einen Brief von Schalck-Golodkowski an Erich Honecker. Die Intema habe damit mehr als ein Sechstel des gesamten Gewinnes aller Stasi-Westfirmen beigesteuert.

Wie groß die Gewinne der Intema über all die Jahre wirklich waren, ist nicht bekannt. Unklar ist auch, wie viel Geld sie in den Osten überwies. Für die Zeit von 1977 bis 1989 haben Berliner Fahnder in den frühen 90er Jahren 51 Intema-Zahlungen von West nach Ost festgestellt. Die Gesamtsumme: fast 22 Millionen Mark. Ob die Essener Händler noch mehr Geld in den Osten überwiesen, ist laut einem Spiegel-Bericht von 1993 unklar: „Auf Lisowskis Weisung sind vor allem in Ost-Berlin Unterlagen zentnerweise vernichtet worden.“

„Auf Lisowskis Weisung sind vor allem in Ost-Berlin Unterlagen zentnerweise vernichtet worden.“
Das Jahr 1986 in Essen: Die Zeche Zollverein macht dicht, die Intema schafft Geld in den Osten. Foto unter CC-Lizenz: NeptuulDas Jahr 1986 in Essen: Die Zeche Zollverein macht dicht, die Intema schafft Geld in den Osten. Foto unter CC-Lizenz: Neptuul

Ohnehin war es für Ermittler wie Journalisten nach der Wende nicht leicht, im Firmengeflecht der Stasi-Firmen durchzusteigen. „Die Unternehmen sind vielfach miteinander verflochten, so dass eine einigermaßen übersichtliche Darstellung der Kapitalbeteiligung schwierig ist“, zitiert die Illustrierte Quick aus einem vertraulichen Bericht des Bundesinnenministeriums von Anfang der 1990er Jahre. Noch 1989 drueckten etwa die KoKo-Drahtzieher den steuerpflichtigen Gewinn ihrer Firma Intema in Essen durch Scheinprovisionen von rund 17 auf 5,5 Millionen DM, berichtete die taz drei Jahre später. Die komplizierten Ermittlungen in Sachen Intema lagen wegen Personalmangels in der Berliner Staatsanwaltschaft jahrelang auf Halde.

Nach der Wende wollte Detlef von der Stück noch einmal den ganz großen Reibach machen. Ende April 1990 kaufte er die Intema für 10,3 Millionen Euro. Von der Stück gründete für die Übernahme die VDS Beteiligungs GmbH und die VDS Gesellschaft für Verwaltung, Dienstleistung und Service GmbH. Damit wollte er Handelsgeschäfte mit osteuropäischen Firmen anschieben. Doch der Millionendeal ging zu Lasten Deutschlands. Verkauft hatte ihm die Firma Waltraud Lisowski. Lisowski war eine Vertraute von Alexander Schalck-Golodkowski und leitete angeblich große Teile der Kommerziellen Koordinierung, der Stasi-Abteilung für Auslandsdevisen.

Lisowski steuerte jahrelang einen ganzen Haufen Tarnfirmen, versteckt in Briefkastenmetropolen wie eben Vaduz oder Curacao. Die Devisengewinne flossen in den “disponiblen Parteifonds” der SED. Zu Lisowskis Westfirmen gehörte auch die Essener Intema.

Am 13. September 1994 ging die Intema-Nachfolgerin VDS insolvent. Die holländischen Vorgängerfirmen bekamen kein Geld mehr von Detlef von der Stück. Am 8. April 1997 verhaftete die Berliner Staatsanwaltschaft schließlich Waltraud Lisowski. Sie entdeckte ein Nummernkonto Lisowskis. Auch gegen von der Stück, der zu diesem Zeitpunkt in U-Haft saß, stellte die Staatsanwaltschaft einen weiteren Haftbefehl aus. Denn: Die alten Ost-West-Seilschaften hatten auch nach der Wende noch einmal funktioniert.

30 Millionen Mark Schadensersatz

Die 10,3 Millionen Mark, die von der Stück für die Intema 1990 bezahlte, waren viel zu wenig. Die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben, später bekannt unter dem Namen Treuhand, gab zwei Gutachten in Auftrag. Die Gutachter schätzten den Wert der Intema 1993 auf 33,4 und 1997 auf 22,6 Millionen Mark. Am 26. Septemter 1995 verklagte die Bundesrepublik Deutschland von der Stück und Lisowski auf 30,4 Millionen Mark Schadensersatz.

Besonders dreist: 7,3 Millionen, also mehr als 70 Prozent des Kaufpreises, bekam von der Stück von seiner alten Vertrauten Traudl Lisowski zurücküberwiesen. Als Darlehen aus den Überbleibseln des alten Schalck-Imperiums. Das berichtete im Mai 1997 der Focus.

Sitz der Treuhand war am Berliner Alexanderplatz. Foto unter CC-Lizenz: Andreas SteinhoffSitz der Treuhand war am Berliner Alexanderplatz. Foto unter CC-Lizenz: Andreas Steinhoff

Ausgerechnet Lisowski, die so lange die illegalen Westfirmen der Stasi geleitet hatte, durfte im Auftrag der Treuhand Firmen ihres alten KoKo-Konzerns abwickeln. Für den Kredit musste von der Stück laut Focus keine Sicherheiten vorlegen. Tatsächlich zahlte er nicht zurück. Als von der Stück im Herbst 1994 mit seiner neuen Firma pleite ging, waren die 7,3 Millionen für Gesamtdeutschland verloren.

Als Gegenleistung für diese letztlich missglückten Schiebereien floss Schmiergeld. Lisowski hatte „bei der ABN Amro Bank im südschweizerischen Grenzort Chiasso das Nummernkonto 10271 Giroflex eingerichtet“, berichtete damals der Focus. Dorthin überwies Detlef von der Stück 150.000 Mark – mit Hilfe der irischen Briefkastenfirma Tanelorn Ltd. „Völlig unverständlich“ fand der Bonner Untersuchungsausschuss zu den Westfirmen der Stasi, dass ausgerechnet die ehemalige Vertraute von Schalck-Golodkowski, Traudl Lisowski, noch bis Herbst 1991 für die Treuhand DDR-Firmen abwickeln durfte.

Veurteilt wegen Untreue

In einem anderen Fall wurde von der Stück wegen Untreue verurteilt. Er hatte sich gemeinsam mit Peter Welzel, dem Ex-Generaldirektor des AHB Metallurgiehandel, und Manfred Ronneberger bei der Gründung seiner Beteiligungsgesellschaft 4,8 Millionen Mark ausgezahlt, die eigentlich dem Staat gehörten.

Die Beamten aus dem westdeutschen Wirtschaftsministerium hatten die Treuhand um Prüfung gebeten, damit „alle Verkäufe von KoKo Firmen überprüft werden und kein Volksvermögen verschleudert wird”, zitiert die Zeit 1992. Das Rechtsverständnis der Treuhandmitarbeiter war dennoch eher unorthodox. So setzte sich der ehemalige Mitarbeiter Jochen Strecker zunächst massiv für Waltraud Lisowski ein, um dann vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages über die westdeutschen SED-Firmen zu erklären: „Das sind doch alles kaufmännisch ordentlich geführte Gesellschaften.“

„Das sind doch alles kaufmännisch ordentlich geführte Gesellschaften.“

Ungeklärt sind bis heute zwei Todesfälle ehemaliger Intema-Geschäftsführer: Warum starben die beiden Vorgänger von Detlef von der Stück, Karl-Heinz Noetzel und Fritz John Bruhn? Noetzel hatte 1982 mit SED-Funktionären im Hotel “Stadt Leipzig” zu Abend gegessen und kam danach angeblich wegen eines Herzversagens ums Leben – auf der Toilette. Ebenfalls an Herzversagen soll Noetzels Nachfolger Bruhn gestorben sein, im berüchtigten Ost-Berliner Hotel „Metropol“.

Detlef von der Stück hat überlebt. Das Landgericht Berlin hatte ihn damals verurteilt, in der Revision wurde er jedoch freigesprochen; eine erneute Anklage ließ der Bundesgerichtshof wegen mangelnder Erfolgsaussichten nicht zu. Heute ist von der Stück fast 70 Jahre alt. Noch immer treffen er und seine Frau sich mit einem kleinen Kreis früherer Intema-Mitarbeiter.

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