Die Statistik

Die Stasi war für alle da

Tausende Stasi-Agenten waren im Westen unterwegs. Wir haben Roland Jahn besucht, den neuen Leiter der Berliner Stasi-Behörde.

von Sola Hülsewig

Die Arbeit der Stasi bezog sich bei weitem nicht nur auf die DDR, sagt Stasi-Aufklärer Roland Jahn. Auch in Westdeutschland habe der DDR-Geheimdienst massiv seine Finger im Spiel gehabt. Jahn ist seit Anfang des Jahres 2011 Bundesbeauftragter für die Stasiunterlagen. 1983 wurde der DDR-Bürgerrechtler Jahn in die Bundesrepublik Deutschland zwangsausgebürgert.

„Die Stasi ist keine ostdeutsche, sondern eine gesamtdeutsche Angelegenheit – schon immer gewesen“, sagt Roland Jahn. Tausende Agenten des Ministeriums für Staatssicherheit seien im Westen unterwegs gewesen. Gerade Nordrhein-Westfalen sei für den Geheimdienst interessant gewesen, weil es das größte und wirtschaftlich stärkste Bundesland war.

Die Stasi habe hier vor allem im wirtschaftlichen Bereich gewirkt, so Jahn. „Aber auch im politischen Bereich wollte sie alles wissen. Die Staatskanzlei von Nordrhein-Westfalen war im Blick der Stasi, aber auch gesellschaftliche Ereignisse, zum Beispiel Sportereignisse.“

Die operativen Ziele der Stasi seien zunächst gewesen, Wissen anzusammeln. In bestimmten Bereichen wollte sie jedoch auch gezielt einwirken. „Man hat alles daran gesetzt, Einfluss zu nehmen an den Universitäten oder auch in der Landesregierung. Das geschah, in dem man versucht hat, Agenten zu platzieren an Stellen, wo man Gerüchte und Informationen lancieren konnte, die im Interesse der DDR waren“, sagt Jahn.

Patenschaften der Stasi an West-Unis

So sei zum Beispiel eine Abteilung der Hauptverwaltung Aufklärung ganz konkret zuständig für einzelne Universitäten in Westdeutschland gewesen. Jahn: „Man hat da genau geschaut, in welche Richtung diese Universität geht und vor allem: Mit wem an dieser Universität kann man zusammenarbeiten.“

Langfristig sei dementsprechend auch beobachtet worden, wo die Menschen, die an dieser Universität ausgebildet worden sind, später in der Industrie Fuß fassen würden. Natürlich seien auch die Lehrenden der Universität beobachtet und gegebenenfalls angeworben worden.

„Diese ‚Patenschaften’ der Hauptverwaltung Aufklärung im Westen hatten eine ganz klare Ausrichtung einer systematischen Erfassung dessen, was an den Universitäten entwickelt worden ist“, sagt Stasi-Aufklärer Jahn.

Wie die Stasi Inoffizielle Mitarbeiter warb

Die Anwerbung der Inoffiziellen Mitarbeiter (IM) erfolgte dabei auf ganz unterschiedlichen Wegen. Roland Jahn: „Es gab einerseits Reisende aus Westdeutschland, die zu Besuch in die DDR kamen, die wurden teilweise schon an den Grenzübergängen aussortiert.“ Die Passkontrolleinheiten an der Grenze zur DDR seien allesamt hauptamtliche Mitarbeiter der Stasi gewesen, so dass das ganze System der Erfassung von Bundesbürgern, die in die DDR gereist sind, in der Hand der Stasi gewesen sei.

„Dort hat man an den Grenzübergängen schon sortiert, wer könnte für welche Abteilung der Staatssicherheit interessant sein könnte und wo könnte man eine Chance finden, den anzuwerben.“ Das sei oft mittels unterschiedlicher Methoden geschehen.

Einmal seien politische Fragestellungen in den Mittelpunkt von Werbegesprächen gerückt worden. Die Beamten hätten dabei sondiert, wer der DDR positiv gegenüber stand und wen man deshalb aus ideologischen Gründen anwerben könnte. Auf der anderen Seite seien Leute auch mit der Aussicht auf materielle Belohnung geködert worden: Sie arbeiteten für Geld für die Stasi.

Die Stasi hat die Diktatur gefestigt

Zusammenfassend könne man sagen, dass die Stasi einen großen Aufwand betrieben habe, um hier aktiv zu sein, so Jahn. Gerade im Bereich Wirtschaft habe sie durchaus einen Nutzen gehabt, der den Aufwand wieder ausgeglichen habe.

„Also ich denke schon, dass die Stasi lange Zeit das System in der DDR stabilisiert hat. Dieses System der Angst, gerade innenpolitisch, hat dazu geführt, dass diese Diktatur gefestigt wurde und dadurch auch ihre Existenz verlängert wurde“, so Roland Jahn.

Zur Person Roland Jahn:

Roland Jahn wurde am 14. Juli 1953 in Jena geboren. In den 70er Jahren protestierte Jahn gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns und gegen Zensur in der DDR. 1977 wurde er wegen seiner Proteste von der Universität Jena exmatrikuliert. Weil er nach zahlreichen weiteren Aktionen der DDR unbequem geworden war, wurde Jahn 1983 zwangsweise ausgebürgert. In Westdeutschland arbeitete Roland Jahn als Journalist. Im Januar 2011 stimmte eine große Mehrheit des Bundestages für Jahn als neuen Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik. Im April 2011 erklärte Jahn, dass er sich von den Mitarbeitern mit Stasi-Vergangenheit in der Behörde trennen wolle.

Social-Sharing

Kontakt

Ihnen gefällt dieser Bericht? Sie haben Fragen oder Hinweise zu weiteren Aktivitäten der Stasi? Wir gehen Ihren Anregungen gerne nach. Kontaktieren Sie uns: gerne auch anonym.

Zum geschützten Datei-Upload
Zum geschützten Text-Upload