Die Waffengeschäfte

Munition vom Klassenfeind

Die Troisdorfer Waffenschmiede Dynamit Nobel beliefert die Sozialisten jahrelang mit tonnenweise Munition – angeblich für Jäger. Auch nach der Wende nehmen die Westdeutschen noch Aufträge an.

von Sola Hülsewig und Daniel Drepper

Herbst 1989. Die Mauer fällt, die Munition rollt weiter. Am 13. September 1989 bestellt das „Fahrzeug und Jagdwaffenwerk Ernst Thälmann“ aus Suhl 14800 Schuss Munition. Die westdeutsche Waffenfirma Dynamit Nobel aus Troisdorf bei Bonn will dafür 27244,86 Mark. Dass am 9. November die Mauer fällt, stört weder West noch Ost. „Die Ware wurde per 12.12.89 per Bahn nach Suhl geliefert. Frachtbrief etc. folgt in Kürze“, telegrafiert eine der zwischengeschalteten Handelsfirmen, die NOHA, am 15. Dezember.

Uns liegen dutzende Verträge vor, die erstmals belegen: Die Dynamit Nobel lieferte Ende der 80er Jahre tonnenweise Munition in den Osten und unterstützte damit mutmaßlich deren weltweiten Waffenhandel. Allein am 20. November, elf Tage nach dem Fall der Mauer, unterschrieben das Waffenwerk Thälmann und die Dynamit Nobel noch fünf neue Verträge. Der Gesamtwert: 223.136,28 Mark.

Material für die eigene Produktion

Offizieller Empfänger der Lieferungen aus dem Rheinland ist das der Volkseigene Betrieb Thälmann in der DDR-Waffenstadt Suhl. Thälmann produziert kleinkalibrige Waffen für Schützen und Jäger, stattet aber auch die Nationale Volksarmee mit schwerem Kampfgerät aus. Das macht die westdeutschen Lieferungen brisant, denn der Deal hat einen militärischen Hintergrund.

Das Kombinat Spezialtechnik Dresden bestellt 1984 und 1985 Schützenwaffen und Munition aus dem technisch weiter entwickelten Westen bei der Hauptverwaltung Aufklärung (HV A), dem Auslandsgeheimdienst der DDR. Das Dresdner Kombinat besteht ausschließlich aus Rüstungsunternehmen. Neben Munition und Waffen will es auch die dazu gehörigen Konstruktionsunterlagen, technologische Dokumentationen zur Produktion und Musterangebote. Alles Material, um die eigene Produktion aufzurüsten.

Die Dynamit Nobel AG, heute heißt sie Dynamit Nobel Defence GmbH, produziert seit Jahrzehnten Waffen für die Bundesrepublik. Offenbar spielte sie für die DDR den willfährigen Helfer. Der Dynamit-Nobel-Umsatz mit Munition für die DDR dürfte siebenstellig gewesen sein.1988 verkauften die Troisdorfer Munition und Gewehre im Wert von 315.074,41 Mark. In den folgenden beiden Jahren waren die Umsätze ähnlich hoch.

Die Anfragen aus dem Osten kommen zentral von der „Transportmaschinen Export-Import“, einem Volkseigenen Außenhandelsbetrieb in Berlin. Oft handelt es sich um verschiedenste Arten von Munition, meist ein paar hundert Packungen pro Sorte. Darauf folgt das Angebot der Dynamit Nobel.

Die Firmen werden sich immer wieder einig, es rollen Millionen Patronen in den Osten: Randfeuerpatronen, Anschuss- und Beschusspatronen, verschiedenste Kaliber für Handfeuerwaffen und Gewehre. Dazu Waffenöle, Reinigungsmitte, Zündhütchen. Obendrauf kommen ein paar so genannte „Drillinge“, Jagdgewehre mit drei Läufen für Schrot und Kugeln.

"...aus dem sehr warmen Troisdorf"

Verantwortlich bei Dynamit Nobel ist damals Hans-Herbert Keusgen, Geschäftsbereichsleiter Zivilmunition. Am 2. August 1989 beschwert er sich postalisch bei der Transportmaschinen Export-Import: Die „aufgeführten Preise können wir nicht akzeptieren“. Keusgen unterbreitet ein Gegenangebot, der Osten sendet einen neuen Vertrag. Grundsätzlich ist der Ton sehr freundschaftlich. So schließt die Dynamit Nobel auf einem Quittungszettel „Mit freundlichen Grüßen aus dem sehr warmen Troisdorf“.

Sind sich West und Ost einig, beauftragt der Osten die DDR-Spedition Deutrans, die den Transport organisiert. Sie entscheidet, ob die Munition per Bahn oder LKW in den Osten kommt. Immer gleich bleibt der Grenzübergang: Zwischen Bebra in Hessen und Gerstungen im heutigen Thüringen rollt die Munition von einem Deutschland ins andere. Werden größere Mengen mit dem Lkw geliefert, muss Dynamit Nobel in Essen Bescheid geben: bei der Trans-Ver-Service GmbH in der Manderscheidtstraße 21. Dort kümmert man sich dann um die Formalia.

Neben Munition verkauft Dynamit Nobel regelmäßig giftige Chemikalien in die DDR, zum Beispiel chemische Stoffe für die Textilindustrie. Dazu kommen Chemikalien wie Bikorit, das als Schleifmittel genutzt wird, flüssiges Chlor oder Hydrazobenzol, das man zur Herstellung von Pharmaka nutzt. Ohne diese Chemikalien wäre zum Beispiel die Textilbranche der DDR nicht überlebensfähig gewesen. Geliefert werden aber auch größere Mengen an Dimethyltryptamin, einem starken Halluzinogen. Verwendungszweck: unklar. Außerdem stehen Kunststoffe auf den Bestellzetteln, welche die DDR zum Beispiel bei der Trabi-Produktion benötigte.

Vermittlerin bei diesen Geschäften ist die Vertreterfirma NOHA in Bochum – beziehungsweise ihre Filiale in der Berliner Lützowstraße. Die NOHA Handelsgesellschaft mbH wird im Geheimen von der Stasi gesteuert, über ausländische Holdings verschleiert. Ihre Aufgabe: Devisen erwirtschaften für den Kampf gegen den Klassenfeind. Die NOHA besorgt Prospekte und Muster, vermittelt zwischen den Firmen. Dafür kassiert sie von Dynamit Nobel Provisionen, zwischen fünf und zehn Prozent des Warenwerts. Das Geld geht in die Parteikasse der SED.

Heinz Altenhoff ist damals Geschäftsführer der NOHA und damit Mittelsmann in einem Geschäft, bei dem Waffen-Technologie an die SED-Diktatur verkauft wird. Damit hat er den Aufbau der DDR-Rüstungsindustrie unterstützt. Er gibt vor, nichts davon gewusst zu haben. „Wo genau die Sachen hingekommen sind, weiß ich nicht“, sagt Altenhoff.

NOHA schaltet sich ein

Zumindest in einem Fall wirbt die DDR auch um das technische Know-How von Dynamit Nobel, über einfache Lieferungen hinaus. Es geht um die Produktion von pyrogener Kieselsäure, die in Batterien, Reifen oder Feuerlöschern verwendet wird. Am 2. Mai 1989 schreibt der Außenhandelsbetrieb Industrieanlagen Import an Dynamit Nobel: „Aus der einschlägigen Fachliteratur entnehmen wir, daß Ihre Firma zu den führenden Produzenten der verschiedensten Typen von pyrogener Kieselsäure zählt.“

Die Anlage soll auf dem Industriegelände des VEB Chemiekombinat Bitterfeld entstehen und etwa 3000 Tonnen pro Jahr produzieren. Acht Tage nach der ersten Anfrage schaltet sich einmal mehr die NOHA dazwischen und bittet um eine Proforma-Rechnung in achtfacher Ausführung. „Beim Zustandekommen eines Auftrages erwarten wir von Ihnen eine Provision wie vereinbart, die Sie bitte noch schriftlich bestätigen wollen.“

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