Die Munitionstransporte

Wie die DDR an das G3 kam

Erich Mielke hatte im Westen ein ganz besonderes Ziel: Die Waffenschmiede Heckler & Koch. Die Stasi-Filiale im Ruhrgebiet sollte helfen, brandheiße Technik zu beschaffen.

von David Schraven

Dieser Abschnitt der Deutsch-Deutschen Geschichte beginnt Anfang der 80er Jahre. Die Stasi soll mal wieder ein Auge auf die baden-württembergische Firma Heckler & Koch werfen. Informationen zu einer Waffe mit Druckluft und elektromagnetischer Beschleunigung” sollen die Spitzel beschaffen. Das geht aus Unterlagen hervor, die dieser Zeitung vorliegen. Der Auftrag kommt am 1. April 1980 vom Ministerium für Nationale Verteidigung. Die für die Auslandspionage verantwortliche Stasi Hauptabteilung Aufklärung (HVA) soll „insbesondere technische Daten, neuartige Wirkprinzipien, Einsatzgrundsätze“ beschaffen und über die „Ausbildung an der Waffe” aufklären.

Das Verteidigungsministerium der DDR hat es eilig mit der Bestellung. Der Auftrag soll bis zum Dezember 1982 erfüllt werden. Für die Verhältnisse im Haus von Stasi-Chef Erich Mielke eine Expressbestellung.

Die DDR-Herrscher brauchen die Infos, um die eigene Waffenindustrie wettbewerbsfähig zu halten. Der Arbeiter- und Bauerstaat tummelt sich weltweit auf dem grauen Waffenmarkt. Granaten nach Griechenland, Gewehre nach Schwarzafrika, Sprengstoff nach Libyen – wer zahlt, der bekommt was er braucht, um andere zu massakrieren. In die verfeindeten Länder Irak und Iran liefert die DDR im Jahr 1982 Waffen und Munition im Wert von gut 350 Millionen Mark.

Alexander Schalck-GolodkowskiAlexander Schalck-Golodkowski

Die meisten Waffenexporte werden über getarnten Firmen abgewickelt. Alexander Schalck-Golodkowski kontrolliert für die Stasi die Kommerzielle Koordinierung (KoKo) im Ministerium für Außenhandel der DDR. Kampfauftrag von Schalck-Golodkowski ist es, harte Devisen zu beschaffen. Wie er an die Devisen komm, ist den Stasi-Generälen und Politkommissaren egal.

Doch das blühende Geschäft mit dem Tod droht Mitte der Achtziger Jahre zu welken. Genossen in der dritten Welt schießen immer häufiger mit Westtechnik. Die verlässliche AK 47 droht, aus der Mode zu kommen. Nato-kompatible Munition ist in vielen Bürgerkriegen leichter zu beschaffen, als Geschosse aus Ostproduktion. Der Absatz der KoKo-Firmen stagniert. Die Stasi soll einen drohenden Wettbewerbsnachteil ausgleichen: Die Ost-Gewehre sollen in Zukunft auch Nato-Patronen verschießen, damit die harte Mark weiter in Schalck-Golodkowski Kassen rollt.

Am 1. September 1983 bekommt die Stasi den nächsten Auftrag: Das VEB Synthesewerk Schwarzheide beauftragt die HV A, Leucht-, Signal- und Übungsmunition zu beschaffen. Die Waffenschmiede Heckler & Koch wird neben einer Reihe anderer Firmen als erste Adresse genannt, bei der diese begehrte Ware zu erhalten sei.

1984 bittet das VEB Kombinat Spezialtechnik Dresden die Auslandsspionage der Stasi um eine Sammlung Schützenwaffen aus dem Westen. Das Dresdener Kombinat ist die größte und wichtigste Waffenfabrik der DDR. Kommandeur der Rüstungsschmiede ist seit 1976 Generalmajor der Nationalen Volksarmee Siegfried Eschke. Seine Arbeiter sind auf die Produktion von Panzerfäusten und Schützenwaffen in den ostdeutschen Kommunen Pinnow, Königswartha und Wiesa spezialisiert.

Eschkes Männer wollen „Konstruktionsunterlagen, Produktionstechnologien und Musterangebote“ von Handfeuerwaffen der kämpfenden Infanterie. Neben drei weiteren Firmen steht die Firma Heckler & Koch an erster Stelle. Das Dresdner Kombinat wünscht sich ein Weihnachtsgeschenk: Zum Fest 1984 soll die Stasi das bekannte Sturmgewehr G3 der Firma Heckler & Koch beschaffen.

Beeindruckender Einkaufszettel

Ab 1985 steht Heckler & Koch direkt im Zielvisier des Dresdener Spezialtechnik-Kombinates. Die Stasi soll möglichst schnell „Munition sowie die dazu gehörigen Konstruktionsunterlagen, technologische Dokumentationen zur Produktion und Musterangebote der Firma Heckler & Koch“ besorgen. 1987 folgen Bestellungen für weitere „Handfeuerwaffen“, sowie „optische Visiereinrichtungen“, und technische Zeichnungen für den „Schmiededorn“ und den „Lauf 5,56 mm“. 1988 kommen Bestellungen für „hülsenlose Munition“ dazu sowie die Bitte um ein Kleinkalibergewehr. Als Bonbon obendrauf ordert das Waffenkombinat schließlich bei der HV A Informationen zur „Entwicklung von plasmatrierten Standardläufen für Munition SS 109 der Firma Heckler & Koch“.

„Entwicklung von plasmatrierten Standardläufen für Munition SS 109 der Firma Heckler & Koch“

Ein wahrlich beeindruckender Einkaufszettel. Nur: Laut Bestellbuch führt die Stasi bis in das Jahr 1988 keinen einzigen Auftrag aus. Die Spione laufen in Baden-Württemberg vor Beton, die Stasi hat Lieferprobleme.

Das berühmte G3 von Heckler & Koch / Foto CC by QuickloadDas berühmte G3 von Heckler & Koch / Foto CC by Quickload

Es wird Zeit für Erfolge. Also setzt sich Schalck-Golodkowskis Spezial-Truppe in Bewegung: Die KoKo-Firma NOHA aus Bochum, Abteilung Devisenbeschaffung, schaltet sich ein.

Im Jahr 1988 baut der Prokurist der Firma, Wilhelm Ahrens, einen direkten Kontakt zur Firma Heckler und Koch auf. Am 22. August 1988 besucht er die Fabrik in Baden-Württemberg. Und trifft einen Vertriebsleiter. Laut Besuchsbericht spricht Ahrens ganze vier Stunden mit dem Waffenverkäufer. Es geht um „Zusammenarbeit im DDR-Geschäft“. Ahrens wirbt darum, dass Kooperationen in Zukunft über die NOHA laufen. Soweit der augenscheinlich legale Teil der Verhandlungen.

Überraschend funktioniert plötzlich auch der Schmuggel. Die Stasi vermerkt, dass die zuvor blockierten Bestellungen der DDR-Fabriken bedient werden können. Mit dem 14. September 1988 wird der erste Teilauftrag realisiert. Am 15. September kommt das begehrte G3 Gewehr. So geht es weiter.

Im Oktober kann Ahrens einen weiteren, diesmal legalen Erfolg verbuchen. Heckler & Koch unterzeichnet am 17. Oktober 1988 eine Vertretungsvereinbarung mit der Stasi-Firma NOHA. Das prosaische Schriftstück ist an Ahrens persönlich gerichtet. Der Heckler & Koch Vertriebsleiter schreibt: „es prüfe wer sich lange bindet“, diesem Motto sei seine Waffenfabrik immer treu geblieben. Auch, als DDR-Handelsbehörden im März 1988 klar gemacht hätten, dass Heckler & Koch „quasi in wilder Ehe“, das heißt, „ohne den offiziellen Segen“ der Außenhandelsbetriebe in der DDR agiert habe. Und weiter schreibt der Waffenhändler an die NOHA: „Der Schock war um so größer, als wir auch sofort eine neue Braut zugeführt bekamen“. Doch schließlich habe man sich mit Ahrens und seiner Truppe eingelassen. „Nach 7monatiger quasi Verlobungszeit (wobei wir uns natürlich auch nach anderen hübschen Mädchen umgesehen haben) dürfen wir Ihnen aber heute mitteilen, dass wir uns entschlossen haben, unsere Zusammenarbeit mit Ihnen zu legalisieren und zu offizialisieren“. Heckler & Koch verspricht der Stasi-Firma zehn Prozent Provisionen. Mit die höchsten Staatsschmiergelder, die die KoKo von Westfirmen überhaupt kassierte.

„Nach 7monatiger quasi Verlobungszeit (wobei wir uns natürlich auch nach anderen hübschen Mädchen umgesehen haben) dürfen wir Ihnen aber heute mitteilen, dass wir uns entschlossen haben, unsere Zusammenarbeit mit Ihnen zu legalisieren und zu offizialisieren.“

Auftrag über 60 Millionen D-Mark

Heckler & Koch hat endlich eine Stasi-Firma für ihre Ostgeschäfte gefunden. In der Folge schickt Heckler und Koch mindestens eine umfangreiche Lieferung in die DDR. Angeblich exportiert Heckler & Koch “Feinstbohrmaschinen“. Der Umsatz liegt laut den uns vorliegenden Unterlagen bei rund 60 Millionen D-Mark. Die NOHA soll mindestens 1,24 Millionen D-Mark Provisionen kassieren.

Kurze Zeit später kommt die Wende. Die NOHA geht Pleite. Heckler & Koch verweigert die Provisions-Zahlungen. Ahrens und Konsorten wollen sich selbstständig machen.

Heute will von den „Feinstbohrmaschinen“ niemand mehr etwas wissen. Nach den vorliegenden Papieren hätten diese Bohrmaschinen unter Umständen für die Waffenproduktion genutzt werden können. Wer genau die Geräte bekam, ist den Dokumenten nicht zu entnehmen. Auch nicht, wo die Maschinen eingesetzt wurden. Normalerweise hätte das Geschäft von der Bundesregierung genehmigt werden müssen. Im Bundesarchiv waren aber keine Unterlagen für diesen Export von „Feinstbohrmaschinen“ aufzutreiben.

Heckler & Koch sagt, es gebe keinen Kontakt mehr zu den involvierten Vertriebsmitarbeitern. In den Firmenarchiven sei auch nichts zu finden. Das Unternehmen wisse nicht, um was es bei dem Geschäft gegangen sei. Der Generaldirektor des Kombinats Spezialtechnik Dresden, Siegfried Eschke, verweigert die Auskunft. Der vermittelnde NOHA-Prokurist Wilhelm Ahrens sagt, er könne sich an nichts erinnern.

Sein Geschäftsführer Heinz Altenhoff sagt zum Deal: „Man sagte uns, die Waffen gingen an die Forstwirtschaft und Schützenvereine. Aber wo genau die Sachen hingekommen sind, weiß ich nicht.“ Ob Heckler & Kochs Geschäft mit dem Osten legal war oder illegal, bleibt offen.

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