Der Geschäftsführer

Der Stasi-Puff in Wattenscheid

Dreckige Geheimnisse sind ein effektives Mittel, um Leute an sich zu binden. Die Bochumer DDR-Firma NOHA nutzte das bei Geschäftspartnern. Die Stasi führte Protokoll.

von Sola Hülsewig

Der Stasi-Informant, Deckname „Klaus“, wunderte sich, als es „nach Beendigung der dienstlichen Angelegenheiten“ mit der NOHA ausgerechnet nach Wattenscheid zum Essen ging. „Eine solche Einladung mit einer relativ weiten Anfahrt zu einem Abendessen war für mich neu und ungewöhnlich“, schreibt er im Februar 1983 in seinem Protokoll für die Hauptverwaltung Aufklärung der DDR, Hauptabteilung 18. Noch erstaunter war Klaus aber – zumindest angeblich – über den Umstand, dass der Abendausflug in einem Wattenscheider Bordell endete.

Die NOHA in Bochum war eine Parteifirma unter Stasikontrolle. Sie wurde verdeckt von der Stasi gesteuert und war durchwandert mit Inoffiziellen Mitarbeitern (IM) der Stasi und heimlichen Mitgliedern der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP). Für Geschäfte westdeutscher Unternehmen mit der DDR kassierte die NOHA Provisionen und erwirtschaftete so Devisen für den Kampf gegen den Klassenfeind. „Klaus“ war ein Geschäftspartner der NOHA aus der DDR und, was die NOHA-Leute vermutlich nicht wussten, spionierte für die Stasi.

Der Geschäftsführer der NOHA, Heinz Altenhoff, stand bei der Staatssicherheit im Verdacht, gleichzeitig für den Bundesverfassungsschutz zu arbeiten. Die Sozialisten hatten deshalb eine so genannte operative Personenkontrolle (OPK) gegen Altenhoff eingeleitet – Überwachungsmaßnahmen, die gegen Verdachtspersonen angewendet wurden, die als „feindlich-negativ“ eingestuft worden waren. Altenhoff wurde intensiv bespitzelt, genauso wie sämtliche Personen in seinem Umfeld.

Erst Bierstube, dann "Besonderes"

Mit Doppelagenten machte die Stasi teils kurzen Prozess. Karl-Heinz Noetzel wurde im September 1981 tot auf einer Leipziger Hoteltoilette gefunden. Auch er war Geschäftsführer einer Parteifirma: der Intema aus Essen. Die Stasi vermutete, dass er für das Bundesamt für Verfassungsschutz arbeitete. Angeblich erstickte er an Speiseresten. Offizielle Todesursache: Herzversagen. Auch sein Nachfolger behält sein Amt als Intema-Geschäftsführer nicht lange. Er stirbt im August 1982 im Ostberliner Inter-Hotel „Metropol“, ebenso an Herzversagen. Gerüchte sagen, ihm sei beim Geschlechtsverkehr mit einer Prostituierten das Herz stehen geblieben. Fest steht: Er arbeitete für die westdeutsche Spionageabwehr.

Dass er operativ bearbeitet wurde, sei ihm nicht bewusst gewesen, sagt Altenhoff heute. Auch weiß er nicht, welche seiner Partner und Kollegen in Wirklichkeit Stasi-Spitzel waren. Stasi-Informant „Klaus“ jedenfalls hatte im Februar 1982 pikante Details zu berichten. An besagtem Abend brachte ein Vertreter der NOHA – der Name ist im Bericht geschwärzt – seinen DDR-Gast Klaus in eine Bierstube. Dort aßen die beiden etwas, tranken Bier und „etliche Klare“. Kurz vor Mitternacht lud der NOHA-Mann seinen ostdeutschen Besucher auf einen kleinen Spaziergang ein. Er wolle ihm noch etwas „Besonderes“ zeigen.

"Vom Trinken und Liebesakt geschafft"

Der Fußmarsch führte die beiden in ein „Amüsierlokal“, den „Wiesenhof“. Klaus vermerkte: „Ich hatte den Eindruck, dass die vordem erwähnte Bierstube nur ein Vorwand war, um mit mir in dieses Amüsierlokal zu gehen.“ Der NOHA-Mann schien das Personal bestens zu kennen. Zwei Mädchen gesellten sich sofort zu den Geschäftsmännern – der Westdeutsche bestellte zwei kleine Flaschen Sekt für 180 Mark.

Laut den Beschreibungen von Klaus verschwand der NOHA-Vertreter recht bald mit dem einen Mädchen im „Separee“. „Das genannte Mädchen war dem Äußeren nach eine Mulattin, die aber einwandfrei Deutsch sprach. Das geschätzte Alter Mitte 20“, vermerkt Klaus. Er selbst gibt in seinem Protokoll vor, die Finger von „seinem“ Mädchen gelassen zu haben. Stattdessen habe er sich unterhalten: „Ich nutzte die Zeit, um mich mit dem Mädchen über das Warum und Wieso ihres Berufes und über Preise zu unterhalten. Sie wollte für einen Beischlaf mindestens 130 DM haben. Eine solche Aufforderung wurde von mir abgelehnt.“

Auf dem Rückweg wurde im Taxi wenig gesprochen. „Herr … machte den Eindruck, dass er vom Trinken und dem Liebesakt ziemlich geschafft ist“, schreibt Klaus.

„Ich nutzte die Zeit, um mich mit dem Mädchen über das Warum und Wieso ihres Berufes und über Preise zu unterhalten. Sie wollte für einen Beischlaf mindestens 130 DM haben. Eine solche Aufforderung wurde von mir abgelehnt.“

Puffbesuche gehörten zum Geschäft

Die Annahme liegt nahe, dass bei der NOHA Puffbesuche zum Geschäftsgebaren dazugehörten. Auch der Inoffizielle Stasi-Mitarbeiter „Günter“, der ebenfalls geschäftlich mit der NOHA zu tun hatte, berichtet vom Wiesenhof in Wattenscheid. Natürlich habe auch er nie eine Prostituierte angerührt: „Es gab keinerlei Kontakt zu den genannten Damen.“ Herr … von der NOHA sei jedoch nicht zum ersten Mal da gewesen, schreibt auch IM Günter. Der NOHA-Mann habe bemerkt, er sei vor Kurzem mit einem Geschäftspartner der Firma CCA aus Hamburg dort gewesen.

Und auch auf der Leipziger Frühjahrsmesse versuchte ein NOHA-Mitarbeiter, IM Günter einzuwickeln. Nach dem Eröffnungskonzert und dem Abendessen ging es um Mitternacht in die „Orion-Bar“. Am Vorabend sei der NOHA-Mann auch schon da gewesen, berichtet Günter. Die beiden setzten sich auf ihre reservierten Plätze neben einer „einzelnen Frau“. … und der IM tanzten mehrmals mit der Frau, der IM ging jedoch nach relativ kurzem Aufenthalt in der Bar nach hause“, schreibt Günter in seinem Bericht. Am nächsten Tag sei der Bochumer erstaunt gewesen, dass sein Begleiter schon so früh gegangen sei.

Vermutlich haben die meisten Teilnehmer solcher Ausflüge nichts weitererzählt. Und ob die Stasi-Informanten wirklich alle so standfest waren, wie sie in ihren Protokollen beschreiben, darüber lässt sich auch nur spekulieren.

Puffbesuche ja oder nein? „Jetzt muss ich aber vorsichtig sein, was ich sage“, sagt NOHA-Geschäftsführer Heinz Altenhoff. „Grundsätzlich bin ich diesen Dingen nicht abgeneigt gewesen.“ So könne man Klienten schließlich an sich binden. „Das ist ja auch normal in dieser Branche“, versucht der fast 80-jährige Altenhoff die Bordell-Besuche zu verharmlosen. Und gegen die Lustreisen, die manche Firmen heute machten, seien die Wattenscheider Pufftrips ja gar nichts gewesen. Die Firma habe die Ausflüge jedenfalls nicht bezahlt, sagt Altenhoff.

„Grundsätzlich bin ich diesen Dingen nicht abgeneigt gewesen. Das ist ja auch normal in dieser Branche."

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