Der Stasi-Aufklärer

25 Milliarden dunkle Mark

Alexander Schalck-Golodkowski beschaffte mit der Abteilung „Kommerzielle Koordinierung“ mehr als 25 Milliarden Mark für die DDR – durch Waffenhandel, Steuerbetrug und Scheinfirmen

von Janis Brinkmann

Sie nannten ihn den „großen Alex“. Auf den Gängen seiner Kommandozentrale in einem unscheinbaren Bürogebäude an der Wallstraße in Berlin-Mitte raunten die Mitarbeiter von Alexander Schalck-Golodkowski diesen Namen. Fast flüsterten sie ihn nur. Denn dieser massige, groß gewachsene Mensch war gleichzeitig einer der mächtigsten Männer in der DDR-Wirtschaft.

Als „Honeckers Deviseneintreiber“ oder „obersten DDR-Geldbeschaffer“ lernte ihn die deutsche Öffentlichkeit nach der Wende kennen. Als „Politkriminellen“ und „Tausendsassa der Korruption“. Die Liste der Namen von Schalck-Golodkowski ist lang, die seiner Machenschaften ist länger: Waffenhandel, Steuerbetrug, Umgehen von Handelsembargos.

Dazu spannte er ein weltweites Netz von Schein- und Vertreterfirmen, um durch Leerverkäufe und Provisionen Devisen zu erwirtschaften – alles im Auftrag und für die Führung der sozialistischen Einheits-Partei um Generalsekretär Erich Honecker und Wirtschaftssekretär Günter Mittag. Ein Dienst am Vaterland, der zugleich Schalcks eigene Macht und seinen Kontostand wachsen ließ.

Die DDR braucht ausländische Währung

Begonnen hatte das Projekt, das Schalcks Lebenswerk werden sollte, bereits in den frühen 60er Jahren. Während des Kalten Krieges suchte die DDR-Führung nach Wegen wie „am offiziellen Außenhandel vorbei Devisengewinne erwirtschaftet“ werden könnten. Die schwache Ost-Mark hatte schon 1964, drei Jahre nach dem Bau der Berliner Mauer, international einen schlechten Stand. Die DDR musste auf andere Weise an ausländische Währungen kommen.

Alle Pläne schon in der Tasche: Titelbild der DoktorarbeitAlle Pläne schon in der Tasche: Titelbild der Doktorarbeit

Die Gründung einer speziellen Abteilung mit dem Ziel der Devisenbeschaffung soll dann ihr späterer Leiter Schalck-Golodkowski in einem Brief an Hermann Matern, Mitglied des Politbüros und dort zuständig für die „Abteilung Verkehr“, selbst angeregt haben. Schalck bezeichnete sich in diesem Bewerbungsschreiben als geeignet für den Aufbau einer solchen Abteilung – und war es wohl auch.

Schalck-Golodkowskis Doktorarbeit trägt den Titel „Erwirtschaftung zusätzlicher Devisen im Bereich Kommerzielle Koordination“ und veranschaulicht sehr detailliert die Möglichkeiten der Wirtschaftskriminalität im innerdeutschen Handel. Das Werk liest sich wie eine Anleitung für die Wirtschaftsverbrechen der folgenden Jahrzehnte. Wie skurril diese Geschichte war, zeigt sich an einer einfachen Anekdote: „Doktorvater“ von Schalcks Dissertation war kein Geringerer als der Minister für Staatssicherheit Erich Mielke, der allerdings selbst weder Abitur hatte, geschweige denn einen akademischen Grad besaß.

Scheinlieferungen und Luftbuchungen

Ein Ferienhaus von Schalck-Golodkowski. Von mehr als 200 Tarnfirmen ließ sich gut leben.Ein Ferienhaus von Schalck-Golodkowski. Von mehr als 200 Tarnfirmen ließ sich gut leben.

Schalck, später stellvertretender Minister, Staatssekretär, Stasi-Oberst und Mitglied des Zentralkomitees (ZK), schrieb rückblickend: „Im Frühjahr 1966 teilte mir Mittag mit, dass Ulbricht grünes Licht für meine Idee gegeben hatte. Ich war richtig stolz und freute mich.“ Im Spätsommer begann Schalck dann mit dem Aufbau einer speziellen Abteilung im Ministerium für Außen- und Innerdeutschen Handel (MAI): Der Bereich „Kommerzielle Koordinierung“, kurz: KoKo, war geboren.

Die Organisation, für die im engeren Zirkel etwa 100 Mitarbeiter tätig waren, hatte mehr kriminelle Energie, als sich selbst mancher Parteigenosse vorstellen konnte. Gehandelt wurde mit allem, was Gewinn abwarf. Unter anderem mit Waffen und Sondermüll, mit Kunstgegenständen und illegal beschaffter westlicher Hochtechnologie. Auch verdiente die KoKo beim Freikauf von Häftlingen und kassierte in Westdeutschland bei DDR-gesteuerten Unternehmen ab.

Schalck steuerte ein Netz aus mehr als 220 illegalen SED-Tarnfirmen mit etwa 3100 Mitarbeitern. Diese führten vielfach lediglich Scheinlieferungen und Luftbuchungen aus. Waren wurden selten bewegt, dafür aber die westlichen Steuerzahler geprellt. 25 Milliarden Mark erwirtschaftete die KoKo auf diese Weise. Schalck-Golodkowski rühmte sich später sogar mit 50 Milliarden. Zu Zeiten der DDR mussten Schalck und seine Leute keine Kontrollen befürchten: Für ihre Finanztransaktionen nutzten sie die Ost-Berliner Deutsche Außenhandelsbank, die als „Devisenausländer“ außerhalb der Zuständigkeit des Finanzministeriums lag.

Beschaffte das Geld für 5000 Tonnen Äpfel: Alexander Schalck-GolodkowskiBeschaffte das Geld für 5000 Tonnen Äpfel: Alexander Schalck-Golodkowski

Das machte auch die weitere Verwendung des Geldes leichter: Die erwirtschafteten Devisen flossen nicht etwa in den Staatshaushalt der DDR, sondern meist an die SED oder direkt an die Stasi. D-Mark und Dollar wurden zur Finanzierung von geheimen Operationen und der Auslandsspionage eingesetzt. Auch wurde die westdeutsche DKP mit jährlich bis zu 70 Millionen Mark unterstützt. Hohe Beträge flossen zusätzlich in den „disponiblen Parteifonds“ der SED, der auf Honeckers Anordnung ständig 100 Millionen Mark flüssig bereithalten musste.

Auch konnten kurzfristige Versorgungskrisen abgewendet werden: Das von der KoKo beschaffte Geld rettete die DDR wohl schon 1982 vor der drohenden Zahlungsunfähigkeit. Für das eigene Volk fiel aus den illegalen Geschäften nur wenig ab: Einmal orderte Schalck für die Bevölkerung der DDR zu Weihnachten Bananen – eine seltene Besonderheit. Ein anderes Mal bestellte er 5000 Tonnen Äpfel für zwei Millionen Mark.

Die Koko war nicht nur erfolgreich in der Devisenbeschaffung. Zu ihren weiteren Aufgaben zählten auch Embargo-Geschäfte: Strategisch wichtige Güter aus dem „nicht sozialistischen Ausland“ durften wegen der Embargobestimmungen des Westens nicht in die DDR importiert werden.

Schalcks Abteilung umging diese Handelsgrenzen, beispielsweise bei der Einfuhr von Computertechnologie und Produktionsanlagen – und ließ sich die Kosten für die aufwändigen Operationen per Aufschlag von den Auftraggebern in der DDR wieder bezahlen.

Schalck, der über die KoKo auch die vom DDR-Zoll beschlagnahmte Ware verwaltete und stets besten Zugriff auf Westwaren und Luxusgüter hatte, war innerhalb der Parteiführung eine gefragte und umschmeichelte Person. Vom Farbfernseher bis zu Drogen und Pornoheften – Schalck konnte alles herbeischaffen.

Eine "Insel der Marktwirtschaft"

Bis zum Herbst 1989 wusste die DDR-Öffentlichkeit nichts von den kriminellen Geschäften. Erst im Zuge des Zusammenbruchs der DDR flog Alexander Schalck-Golodkowski auf. Im Dezember 1989 wurde er aus dem Zentralkomitee geworfen und aus der SED ausgeschlossen. Nach einer überstürzten Flucht nach West-Berlin am 4. Dezember 1989 stellte sich Schalck den Westdeutschen Behörden. Unter dem Decknamen „Schneewittchen“ legte Schalck später gegenüber dem Bundesnachrichtendienst ein umfangreiches Zeugnis über die kriminellen Machenschaften der „Kommerziellen Koordinierung“ und seiner Tätigkeiten für die Stasi ab.

1991 sprach Schalck-Golodkowski in der ARD-Sendung Brennpunkt. Auch wegen dieses Interviews verhandelte der Bundestag Schalcks Machenschaften in einem großen Untersuchungsausschuss des Bundestages. Aus diesem Ausschuss ging auch der Köppe-Bericht hervor.

Der “große Alex” war Gegenstand zahlreicher Ermittlungsverfahren, unter anderem wegen der Veruntreuung von Milliardenbeträgen der DDR-Regierung. Rechtskräftig ist allerdings nur ein Urteil: Wegen illegalen Waffenhandels und seiner Embargovergehen wurde Schalck Mitte der 90er Jahre zu einer 16-monatigen Freiheitsstrafe verurteilt. Die Richter setzten diese jedoch zur Bewährung aus.

Der große Devisenbeschaffer endete vor dem Untersuchungsausschuss des Deutschen BundestagesDer große Devisenbeschaffer endete vor dem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages

Schalck, zwischendurch wegen seines Krebsleidens für verhandlungsunfähig erklärt, wurde für seine Verbrechen allerdings nie vollständig zu Rechenschaft gezogen. Wohl auch, weil er sich gegenüber dem BND als „äußerst kooperativ“ zeigte, wenn auch mit „weitschweifenden Erläuterungen“.

Das System Schalck war da endgültig Geschichte. Wie irrational es bisweilen im Auftrag der Parteiführung arbeitete, wurde spätestens klar, als im Keller des KoKo-Gebäudes 21 Tonnen Gold gefunden wurden, die dort für den Fall einer plötzlichen Zahlungsunfähigkeit lagerten. Ein Betrag, fünfmal so hoch wie die Reserven der Staatsbank. Zusammengehamstert durch die Machenschaften eines knallharten Kapitalisten in einem sozialistischen Wirtschaftssystem. Als eine „Insel der Marktwirtschaft“ verklärte der letzte DDR-Staatschef Egon Krenz die „Kommerzielle Koordinierung“. Für Wirtschaftssekretär Günter Mittag blieb sie auf ökonomischer Ebene der „einzig wirksame praktische Reformschritt“.

Schalck selbst erzählte in einer Fernsehsendung einmal seine Sicht der Dinge: Alles sei stets „anständig und korrekt“ abgewickelt worden: „Ich habe nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt in der Absicht, der DDR und den Menschen zu dienen.“

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