Frage: Frau Meier*, sie haben in den Achtzigern als Sachbearbeiten bei der noha gearbeitet. Was war genau Ihr Job in dieser Firma?
Antwort: Ich kam zuerst in die Abteilung “Musikinstrumente”. Wir haben Saxophone und Gitarren aus Klingenthal vertrieben. Aber auch Becken, Triangeln, Blockflöten und Spielorgeln. Sowas ist ja eine Spezialität des Voigtlandes und ganz besonders des Erzgebirges. Ab und an waren auch mal Flügel dabei.
In den Akten finden sich Vermerke mit Firmennamen wie Grothrian-Steinweg, Ibach und Schimmel. Eindeutig West-Produkte. Haben Sie auch Instrumente in die DDR geschickt?
Wir waren Im- und Export tätig. Und diese Flügel gehörten zum Export. Wir haben uns mit Schimmel-Pianos und Steinway-Flügeln auch auf der Musikmesse in Frankfurt präsentiert. Da waren wir Mitaussteller auf dem DDR-Stand. Und da hat man dann auch schonmal die Leute von den Klavierfirmen getroffen.
Sie sagen “DDR-Stand”. Waren da dann sämtliche Hersteller von Musikinstrumenten aus der DDR?
Vorwiegend das VEB Klingenthal – ein volkseigener Betrieb. Da wurden die Musikinstrumente hauptsächlich hergestellt. Ich wüsste nicht, dass die noch woanders herkamen. Das war nicht wie bei uns durch einen Markt geregelt. In Plauen gab es glaube ich auch noch irgendetwas.
Gab es in Westdeutschland viele Abnehmer für die Musikinstrumente aus der DDR?
Auf jeden Fall. Die hatten eine gute Qualität und waren preiswert. Ich habe privat auch mal ein Saxophon gekauft und 3-Wege-Boxen. Die habe ich heute noch zu Hause. Die wurden produziert für irgendeinen deutschen Lieferanten. Ich kann mich an eine Firma in Wiesbaden erinnern und eine Firma in Mittenwald. Die haben unsere Produkte wahrscheinlich als günstige Produkte nebenbei angeboten.
Wie lange haben Sie in dieser Abteilung gearbeitet?
Steht das nicht in meinem Zeugnis?
Nein, leider nicht.
Insgesamt war ich etwa sieben Jahre bei der noha. Und davon vielleicht drei Jahre in der Abteilung für Musikinstrumente. Danach bin ich zu den metallurgischen Erzeugnissen gewechselt.
Was muss man sich darunter vorstellen?
Das war eine kleine Abteilung. Meine Kollegin im Büro kümmerte sich um gewalzte Ringe und Fittings. Thyssen Krupp und die Firma Kugelfischer in Witten und auch die Hagener Gußstahlwerke haben von uns Produkte abgenommen. Ich wusste aber nicht, was man aus gewalzten Ringen macht. Ich hab' die Dinger nie gesehen.
Und Fittings? Die noha handelte ja auch mit dem Waffenhersteller Heckler & Koch…
Keine ahnung. Ich habe ja immer nur Rechnungen gesehen. Es gab ja auch keine Prospekte oder sowas. Ich habe mir da nie Gedanken drüber gemacht. Da war ich auch viel zu blauäugig damals. Das habe ich nie hinterfragt.
Was haben sie denn gesehen? Die Auftragsbücher, die Bilanzen?
Ich habe gar nichts gesehen. Wir waren immer nur Bindeglied, wenn der Außendienst bei den Firmen war und uns gesagt hat, dass die in den kommenden Monaten dreihundert gewalzte Ringe haben wollen. Dann haben wir einen Auftrag gemacht und die Teile bestellt. Natürlich mussten wir auch immer nachhaken, wann die denn geliefert werden. Im Prinzip haben wir den ganzen Tag über mit der DDR immer nur Faxe geschrieben. Obwohl, Faxe gab es ja noch gar nicht. Die Dinger mit diesem Lochstreifen – Fernschreiber hießen die, glaube ich. Das haben alles unsere Vorgesetzten gemacht. Mit selbstständigem Arbeiten war da nicht viel. Als Sachbearbeiterin mussten Sie Steno können ohne Ende. Die haben uns die Blöcke voll diktiert. Jede Anfrage wurde diktiert und das haben wir dann alles abgeschrieben. Das wurde dann in die Handakte auf Wiedervorlage abgeheftet, dann mussten sie wieder zum Chef und anschließend nachfragen bei den VEBs.
Eine ziemlich monotone Tätigkeit…
Das kann ich Ihnen sagen. Die Abteilung Musikinstrumente war sowas von langweilig. Ich habe da manchmal tagelang gesessen. Wenn der Chef aus dem Haus war, haben wir nichts zu tun gehabt. Das ist nicht so gewesen wie heute. Wir hatten richtig Langeweile und sind dann oft in die Buchhaltung und haben den ganzen Vormittag nur gequatscht. Da saßen wir dann stundenlang auf dem Teppich und haben uns über privaten Kram unterhalten. Das war schon ein nettes Betriebsklima.
Wie muss man sich den Laden genau vorstellen? Mittelständische Firma, zwei etagen Betonklotz im Industriegebiet?
Wir saßen in einer alten Villa am Stadtpark in Bochum. Ein schönes altes Wohnhaus, dass zu einem Bürogebäude umrenoviert worden war. Unten war ein kleiner Empfang und da standen auch die beiden Fernschreiber. Da musste man sich immer schön anstellen, wenn man was zum senden hatte. Die nichtssagende Abteilung “Musikinstrumente” war unterm Dach. Da saß ich mit einem Kollegen in einem Büro, und in einem anderen Raum saß die Kollegin mit den gewalzten Ringen. Als die in Mutterschutz ging, habe ich dann diesen Part übernommen.
Was wurde Ihnen gesagt, als Sie zur noha kamen? Wir machen hier Geschäfte mit der DDR – wundern sie sich also nicht, wenn gleich Leipzig am Apparat ist?
Wir haben das nicht hinterfragt. Wir haben Produkte aus der DDR in die BRD importiert und umgekehrt. Also müssen die Menschen da drüben ja auch irgendwas machen. Und die wollen das dann ja auch verkaufen. So dachten wir damals. Das war für uns nicht besonders. Klar, die Mauer war da. Aber ansonsten hat man das nicht hinterfragt. Intern war es schwieriger. Unser Chef, der Altenhoff, war gefürchtet aufgrund seiner recht intensiven Alkoholzufuhr. Der war absolut cholerisch. Wir haben immer gesagt, wenn der morgens seine Weinschorle nicht kriegt, dann ist der mittags nicht zu ertragen. Das war so. In dem Laden wurde generell viel gesoffen. Die Sekretärin vom Altenhoff tat uns schon leid. Die musste seine Launen ertragen und immer für Weinchen sorgen. Die wusste bestimmt viel und hat uns auch vor so Manchem bewahrt. Wenn Messen waren und die Chefs aus'm Haus haben wir mit der immer eine Woche gefeiert.
Wieviele Mitarbeiter hatte denn die Firma?
Etwa 30, vielleicht 35.
Sie waren damals sehr jung – Mitte zwanzig. Haben Sie sich in dieser Firma wohlgefühlt?
Ich war ja völlig unbedarft und fand' das schon interessant. Es war immer Getuschel im Haus. Und der Altenhoff hat ja auch hauptsächlich junge Mädels eingestellt. Wir hatten vor allen Dingen Spaß. Es war sehr familiär. Man wusste viel von den Anderen und hat sich privat getroffen. Wir haben immer wieder stundenlang in der Buchhaltung gesessen und uns kaputt gelacht, wenn wieder dicke Luft und der Buchhalter total nervös war. Es wurde auch immer zum Trinken aninimiert. Alkohol gab es da wirklich immer unter dem Motto “Hoch die Tassen!”. Alle haben wirklich immer nur gesoffen. Zu Besprechungen gab's immer Rotwein und deshalb konnten die auch alle was ab. Die konnten Unmengen saufen. Und als junges Mädchen vertragen sie nicht so viel. Heute in den Firmen läuft das ja total anders. Da muss man ja richtig arbeiten. Mittags sind wir immer in diese Gaststätte Pauls gefahren in Bochum-Riemke. Da hatten wir Essensmarken und da wurde auch wieder getrunken. Ich weiß gar nicht, wer da überhaupt gefahren ist…
Und bei den Messen?
In Frankfurt und Hannover, das war eigentlich ziemlich unspektakulär. Hauptsächlich habe ich Würstchen warm gemacht und Kaffee verteilt. Das war völlig stressfrei. Und abends wurde natürlich gesoffen, wenn nicht schon auf dem Stand das Bier geöffnet wurde. Die Kollegen aus der DDR waren ja auch ganz heiß auf das Bier aus dem Westen. Aber so richtig konnten die die Sau bestimmt nicht rauslassen. Ich möchte aber auch nicht wissen, was alles auf den Messen passiert ist. Es muss in Leipzig jedenfalls immer heiß her gegangen sein. Bei uns im Haus gab es ja schon genug Verhältnisse untereinander. Und bei Firmenfeiern hörte man auch immer von schaukelnden Autos und Beziehungskrisen. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen.
Insgesamt haben sie sieben Jahre bei der noha gearbeitet…
Die haben gut bezahlt und ich hatte keinen Stress. Sie hatten ein schönes Leben. Acht Uhr ging's los und freitags war um 14 Uhr Schluss. Wenn die Chefs weg waren, war sowieso alles in Ordnung. Wir waren auch mal mit der kompletten Firma in Ostberlin auf Betriebsausflug und haben im Hotel Metropol unter den Linden übernachtet. Die Top-Adresse damals. Das war aufregend, und da war ja auch zu DDR-Zeiten nichts los. Wir sind da sogar hingeflogen! Mit einer kleinen Maschine, nur für uns. Damit sind wir in Ostberlin gelandet.
War Altenhoff die ganze Zeit dabei?
Das weiß ich nicht mehr. Kann sein, dass der zwischendurch mal für zwei Stunden verschwunden ist, und sich mit irgendwelchen Stasi-Leuten getroffen hat. Das wäre jedenfalls total einfach gewesen. Abends waren wir in der Disko und hatten die komplett für uns. Das war für mich sehr beeindruckend. Viele von uns hatten ja mit der DDR keine Berührung. Ich wusste ja zumindest, was ein VEB und AHB ist.
Wussten Sie von Schalck-Golodkowski?
Der Name hat mir irgendwann mal was gesagt. Keine ahnung. Also ich hätte den damals nicht erkannt. Der Name ist mir im Nachhinein, als wir als DDR-Firma nach der Wende aufgeflogen sind, begegnet.
Haben Sie das eigentlich gemerkt, als es zu Ende ging?
Alles, was wir plötzlich wussten war, dass das Ding jetzt vor die Wand gefahren war. Wir haben uns da keine großen Gedanken gemacht. Auf einmal war die Mauer gefallen.
Das hat sich in der Firma nicht schon über Monate angedeutet?
Wir hatten davon keine Ahnung. Wir waren die jungen Tippsen, die kleinen Mäuse. Kurz vor dem Ende der noha hat der Herr Graupe, einer der Geschäftsführer, eine Nachfolgefirma gegründet – die IVK Industrie-Vertriebs-Kontor GmbH. Weil ich so gut Steno konnte, durfte ich da weitermachen. Irgendwann wurden dann die ganzen VEBs privatisiert und verkauft. Somit hatten wir gar keinen Lieferanten mehr. Da wusste ich, dass ich mich woanders bewerben muss. Was den Altenhoff betrifft, da ging irgendwann das Gerücht in der Firma um, das gegen den eine Ringfahndung läuft. Überall und zur gleichen Zeit würden Räume durchsucht. In der Firma, zu Hause und in der Berliner Filiale in der Lützowstraße. Ehrlich gesagt wundert mich im Nachhinein, dass kein Anderer außer dem Altenhoff in den Knast gehen musste.
*Name von der Redaktion geändert.
*Symbolbild by Günter Havlena / PIXELIO
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